Bahnvorstand mauert im Arbeitskampf der Lokführer

Klassenkampf von Oben

Der Warnstreik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) ist am 1. September in die dritte Runde gegangen. Bilanz des Streiks vom 23. bis 25. August: Pro Streiktag sind mehr als 1.000 Züge im Personenverkehr ausgefallen. Mehr als 10.000 Streikteilnehmer legten, bezogen auf die gesamte Streiklänge, die Arbeit nieder. Viele Güterzüge waren betroffen. Große Zugausfälle wurden in Ostdeutschland registriert. Hier gibt es keine Beamten bei der Bahn. Die Streikkasse, so hieß es, sei prall gefüllt. Zusätzliche Hilfe hat der Beamtenbund als Dachorganisation zugesagt. Kundgebungen wurden durchgeführt und Öffentlichkeit organisiert. Bewegung ist dennoch nicht in den Tarifkonflikt mit dem Bahnkonzern gekommen. Zwar legte die Bahn ein neues Angebot vor, das aber von der GDL als „Nebelkerze“ abgelehnt wurde. 2021 sollte weiterhin eine Nullrunde gelten. Die GDL orientiert sich am Tarifabschluss des öffentlichen Dienstes. Mit anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen hat die Gewerkschaft Tarifverträge auf dieser Grundlage abgeschlossen.

Der Bahnkonzern und die EVG werfen der GDL vor, dass sie einen politischen Streik führe. Die GDL bestreitet das vehement, wegen der Konsequenzen dieses Vorwurfes, aber auch, weil es nicht ihre Absicht ist. Vor Gericht hat die Bahn verloren. Doch die Politik spielt im Konflikt eine große Rolle. Der Staat ist der Eigentümer der Bahn, sie ist Staatsbahn. Die EVG selbst handelte die Basis ihres Tarifvertrages direkt mit der Regierung aus: Eine deutliche Senkung der Personalkosten, dafür im Gegenzug die Gewährung einer großen Finanzspritze für die Bahn zur Bewältigung ihrer Krise.

Das Tarifeinheitsgesetz (TEG) zielt auf die Aktivität streikfähiger und streikbereiter Berufsverbände. Sie sollen rechtlich diszipliniert und ruhiggestellt, sogar um ihre Existenzberechtigung gebracht werden. Die Koalitionsfreiheit wird beschnitten, Dumping-Tarifverträgen wird der Weg geebnet, über die betriebliche Mehrheit entscheidet der Konzern. Es ist also keine große Entdeckung, dass der Kern des jetzigen Konfliktes ein Macht- und Existenzkampf nicht nur, aber doch vor allem der GDL ist, die ihr Recht verteidigt, für alle „systemrelevanten direkten Eisenbahner“ eigene Verträge abzuschließen, wozu sie ihren Mitgliederbestand zahlenmäßig und strukturell erweitern muss. Die andere Seite ist, dass höhere Abschlüsse mit der GDL als mit der EVG den Bahnkonzern recht teuer kommen, es sich also um Klassenkampf von Oben handelt. Das verschärft die Konkurrenz unter den Gewerkschaften. Schließlich zeigt sich immer mehr, dass die gesamte Kapitalfront Stellung bezieht gegen die kampfentschlossene GDL.

Um die Gewerkschaftseinheit ist es nicht nur bei der Bahn schlecht bestellt. Es droht ihr Schaden durch Dumping-Verträge, denn die Gewerkschaften wurden gegründet, um zu verhindern, dass Lohnabhängige, Berufe und Belegschaften gegeneinander ausgespielt und in einen Unterbietungswettlauf getrieben werden. Die Gewerkschaftseinheit kann nur dann in den Belegschaften Fuß fassen, wenn diese grundlegende Aufgabe im Mittelpunkt steht. Deshalb überzeugt der Vorwurf „unsolidarischen Verhaltens“ seitens der GDL nicht. Das ist der falsche Weg, was sich auch daran zeigt, dass in den letzten Wochen 4.000 neue Mitglieder aus dem Kreis der nicht gewerkschaftlich organisierten Belegschaft in die GDL eingetreten sind.

Der Riss an der Tariffront verläuft zwischen der Konzernetage als im politischen Auftrag handelnd und den Beschäftigten. Die Sache jedes einzelnen, jeder besonderen Schicht, jedes besonderen Berufs muss die Sache aller werden. Sie müssen sich gegenseitig stützen und fördern im Kleinen und das große Ziel vor Augen haben. Sie müssen kämpfen. Nur dann wird es gehen – bei GDL und EVG.

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"Klassenkampf von Oben", UZ vom 10. September 2021



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