Zu tödlichen Polizeieinsätzen

Krankes System

Ante P. habe die Polizei immer als „Freund und Helfer“ gesehen, zitiert der „Spiegel“ seine Mutter. Am 2. Mai 2022 wurde der 47-jährige Mannheimer von Polizisten getötet. Sein Vergehen? Er hatte eine psychiatrische Klinik entgegen dem Rat seines Arztes verlassen.

Innerhalb von eineinhalb Jahren hat die Mannheimer Polizei drei Menschen getötet. In Nordrhein-Westfalen starben Anfang dieses Jahres zwei Menschen innerhalb dreier Tage nach Taser-Einsätzen. Von 1976 bis 1990 erschossen Polizisten in der BRD mindestens 153 Menschen, zwischen 1990 und Mitte 2022 mindestens 320. Tödliche Polizeigewalt häuft sich. Drei von vier ihrer Opfer, schätzt der Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes, befanden sich in psychischen Ausnahmesituationen.

Diese Menschen zu schlagen, mit Tränengas anzugreifen, sie zu tasern, gar zu erschießen – das sind die schlimmsten Auswüchse der Gewaltkultur deutscher Polizeien. Sie sprießt aus dem Korpsgeist und der anonymen Verantwortungslosigkeit, die in diesen Institutionen herrschen. Sie wird gedüngt mit der Unkultur der Straflosigkeit. Unabhängig untersucht wird Polizeigewalt in Deutschland ohnehin nicht. Nur in 2 Prozent der angezeigten Fälle erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage. Gerichtsverfahren wie die aktuell laufenden gegen die Polizisten, die an den tödlichen Einsätzen gegen Ante P. oder Mouhamed Dramé beteiligt waren, sind die Ausnahme, die die Regel bestätigten. 97 Prozent dieser Strafverfahren werden dann auch noch eingestellt. Die meist völlig unkritische Hofberichterstattung bürgerlicher Medien schafft das passende Klima für diese Gewaltkultur. Verstärkt wird es durch die penetrant wiederholte Behauptung von als Gewerkschaften getarnten Berufsverbänden sowie rechter Politiker, Gewalt gegen Polizeibeamte nehme zu. Durch wissenschaftlich sauber ermittelte Zahlen ist diese Behauptung jedenfalls nicht gedeckt.

Zur stinkenden Blüte kommt die polizeiliche Gewaltkultur dort, wo die letzten Reste des „Sozialstaats“ versagen. Wo Sozialarbeiter, Psychologen oder Psychiater gefragt wären, doch nur noch Polizei finanziert wird. Anstatt ihnen zu helfen, tötet der Kapitalismus seine Opfer. Die Polizei, dein Feind und Sterbehelfer – das ist die konsequente Weiterentwicklung des „sozialverträglichen Frühablebens“, des Unworts von 1998.

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"Krankes System", UZ vom 19. Januar 2024



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