Peruanische Rechte setzen Pedro Castillo ab – Volk fordert Neuwahlen

Reaktion erobert Präsidentenamt

Theo Mai

Seit seinem Amtsantritt vor 18 Monaten war die peruanische Rechte mehrfach damit gescheitert, den ehemaligen Gewerkschaftsführer und Hochschullehrer Pedro Castillo aus dem Amt zu putschen. Am 7. Dezember überschlugen sich die Ereignisse jedoch innerhalb weniger Stunden: Um einem weiteren Amtsenthebungsverfahren wegen Hochverrats zuvorzukommen – Castillo hatte es gewagt, ein Referendum vorzuschlagen, ob Bolivien Zugang zum Meer gewährt werden solle –, kündigte der Präsident an, den Kongress aufzulösen, Parlamentswahlen abhalten zu lassen und die Regierbarkeit des Landes durch eine Justizreform wiederherzustellen. Da sein Vorgehen verfassungsrechtlich jedoch nicht gedeckt war und sowohl Militär und Polizei als auch der Oberste Gerichtshof ihm ihre Unterstützung verweigerten, konnte ihn der Kongress mit 101 Ja- und 6 Neinstimmen bei 10 Enthaltungen wegen verfassungswidrigen Verhaltens sofort absetzen. Castillo wurde daraufhin auf dem Weg zur mexikanischen Botschaft, die ihm politisches Asyl angeboten hatte, festgenommen und soll unter dem Vorwurf der Rebellion angeklagt werden.

Nach der Absetzung Castillos übernahm Vizepräsidentin Dina Boluarte gemäß Verfassung die Präsidentschaft und kündigte zunächst an, bis zum Ende der Legislaturperiode 2026 regieren zu wollen. Boluarte war bei den Wahlen 2021 noch gemeinsam mit Castillo als Mitglied der Partei „Perú Libre“ (Freies Peru) angetreten, die sich selbst marxistisch-leninistisch nennt. Boluarte wurde bereits im Januar aus der Partei ausgeschlossen, da sie unter anderem geäußert hatte, sie habe nie hinter deren „Ideologie“ und Zielen gestanden. Castillo kam im Sommer dem Ausschluss mit einem Austritt zuvor. Boluarte galt bis vor Kurzem noch als enge Vertraute Castillos, die bei vergangenen Amtsenthebungsversuchen stets betont hatte, in einem solchen Falle auch selbst abzutreten. In einer ersten Rede rief sie zur „politischen Waffenruhe“ auf, um die politische Ordnung wiederherzustellen.

Zustimmung zu einer solchen Waffenruhe bekam sie vor allem aus den Kreisen der peruanischen Rechten. So sicherten ihr unter anderem die Diktatorentochter Keiko Fujimori und die washingtontreue Organisation Amerikanischer Staaten Unterstützung zu. Weniger Anklang fanden ihre Worte hingegen beim peruanischen Volk, das mit Protesten im ganzen Land reagierte. Vor allem in den südlichen Teilen des Andenstaates gingen tausende Menschen gegen den rechtsdominierten Kongress auf die Straße. Während dabei auch Unterstützung für Castillo gezeigt wurde, forderte die breite Mehrheit die Absetzung des Kongresses, sofortige Neuwahlen sowie die Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung, um die 1993 vom Diktator Alberto Fujimori eingesetzte Konstitution endlich zu beerdigen.

Die Polizei reagierte mit harter Gewalt auf die Proteste. Bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe von UZ starben sieben Menschen, auch durch Schusswaffeneinsatz seitens der Polizei, darunter zwei Jugendliche im Alter von 15 und 18 Jahren. Im Laufe der Woche weiteten sich die Proteste immer weiter aus: Regionale Flughäfen wurden besetzt und die größte Autobahn im Land, die Panamericana, blockiert. Bauern- und Indigenenorganisationen riefen zum unbefristeten Generalstreik auf. Boluarte antwortete prompt auf die immer größer werdenden Proteste und kündigte an, bereits im April 2024 Neuwahlen abhalten zu lassen. Dies sei ihre Vorstellung eines Kompromisses zwischen den Interessen des Kongresses und denen der Protestierenden. Rechte Abgeordnete forderten, die Proteste durch Einsatz des Militärs zu beenden, während die linke Minderheit im Kongress Boluarte hingegen dazu aufrief, sofortige Neuwahlen anzusetzen.

Keine 500 Tage hat die peruanische Rechte gebraucht, um den „unliebsamen Linken“ aus dem Amt zu putschen, der sich durch fragwürdige Personalpolitik, das nicht eingelöste Versprechen einer neuen Verfassung und seine Verstrickung in Korruptionsskandale auch selbst immer mehr diskreditiert hatte. Was bleibt, ist ein weiterer Scherbenhaufen peruanischer Politik mit dem nunmehr sechsten Staatsoberhaupt seit 2016. Und es bleibt der Protest des peruanischen Volkes gegen die herrschende Rechte und für eine neue Verfassung im Sinne der Arbeiterklasse.

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"Reaktion erobert Präsidentenamt", UZ vom 16. Dezember 2022



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