Richtungswechsel der Partei „Die Linke“ vorerst gestoppt – Wunschdenken bleibt

Linke diskutiert über Regierungsbeteiligung

Volker Külow und Ekkehard Lieberam

Die Gefahr einer Richtungsentscheidung in der Partei „Die Linke“ hin zu R2G („Rot-Rot-Grün“) im Bund ist vorerst gestoppt. Von einer Hinwendung zum Mitregieren und einem entsprechenden Wahlkampf ist zumindest im Leitantragsentwurf für den Erfurter Parteitag der Linkspartei (PDL) Ende Oktober nicht mehr die Rede. Es heißt darin lediglich, dass es für den angestrebten „sozialen und ökologischen Systemwechsel“ eine „starke Linke“ braucht, „sei es in der Opposition oder in der Regierung“. Wie im Erfurter Programm von 2011 wird formuliert: „Die ‚Linke‘ strebt dann eine Regierungsbeteiligung an, wenn wir damit eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen erreichen können.“ Es fehlt nicht einmal der Programmsatz, dass es keine „Beteiligung“ an „einer Regierung“ geben wird, „die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, die Kriege führt oder Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland“. Die Zeit, wo über die PDL gewitzelt wurde, „Sie will so wie nie, aber keiner will sie“, ist damit erst einmal vorbei.

Führungsquartett wollte es wissen

Das „Reformlager“ wollte es eigentlich wissen, denn von dort kamen in den letzten Monaten andere Töne. Ein Jahr vor den Bundestagswahlen 2021 sollte der Kurs explizit auf R2G im Bund festgelegt werden. Das Führungsquartett Katja Kipping, Bernd Riexinger, Jörg Schindler und Harald Wolf hatte Mitte Mai ein Papier mit der hoch klingenden Überschrift „Für eine solidarische Zukunft nach Corona. Vorschläge zur strategischen Positionierung der ‚Linken‘“ vorgelegt. Als „verlässlicher Lotse“ in der Coronakrise müsse die Linkspartei die nunmehr gegebene Chance für einen „Politik- und Regierungswechsel“ im Bund nutzen. Es gelte bei Bundestagswahlen „offensiv“ für ein Bündnis mit SPD und Grünen einzutreten“. Auf zwei Videokonferenzen – am 16. Mai und 20. Juni – beschäftigte sich der Parteivorstand mit diesem Papier.

Nach den im Internet veröffentlichten Berichten über die Vorstandssitzungen der Parteivorstandsmitglieder Lucy Redler und Thies Gleiss gab es für diesen Kurswechsel wenig Zustimmung. 16. Mai: „Nur ein Diskutant aus dem Parteivorstand ergriff neben den vier Autoren das Wort im Sinne“ des Papiers. Die stellvertretende Parteivorsitzende Janine Wissler lehnte die Orientierung auf Regieren kategorisch ab: „Wir mobilisieren damit von uns weg.“ Im Bericht vom 20. Juni über die „Strategiedebatte“ heißt es: „Die Positionen stehen sich unverändert gegenüber: Gibt es in Zeiten der ‚Coronakrise’ eine politische Notwendigkeit oder verbesserte Möglichkeit für eine Kampagne einer gemeinsamen Regierungsoption von SPD, Grünen und ‚Linke‘ oder ergibt sich heute nicht vielmehr die Notwendigkeit eines sehr eigenständigen und unser gesamtes Programm umfassenden Auftretens der ‚Linken‘?“

Gegenwind

Seit Ende Juni rumorte es in der Linkspartei. Auch die Leitmedien nahmen sich des Themas „Mitregieren der Linkspartei“ verstärkt an. Die „Linke in einer verkehrten Welt“ titelte die „Frankfurter Rundschau“ vom 5. August. Katja Kipping erklärte in Interviews immer wieder – so als ob es einer Entscheidung des Parteitages gar nicht bedürfe – „ihre Partei“ strebe nach den Bundestagswahlen „eine Regierungsbeteiligung“ an. SPD-Politiker sendeten zustimmende, aber auch ablehnende Signale aus. Die Grünen hielten sich bedeckt. Zugleich bezogen die verschiedenen Richtungen in der „Linken“ Stellung. Im „Neuen Deutschland“ kamen die Gegner des Mitregierens vernehmlich zu Wort. Der Hessische Landesvorstand beschloss am 15. Juli ein eigenes Strategiepapier, das „Parlaments- und Regierungsfixiertheit“ ablehnte. Das „Reformlager“ konterte wenig später mit dem Papier „Für eine soziale, ökologische und digitale Gesellschaft“. Neben Matthias Höhn, Stefan Liebig, Klaus Lederer und Kristina Vogt hatte auch Jan Korte unterzeichnet, der in seinem unlängst veröffentlichten Buch „Die Verantwortung der Linken“ noch programmatisch das Gegenteil verkündet hatte.

Überraschend relativierte Bernd Riexinger dann seine Zustimmung zum „offensiven Wahlkampf“ für R2G im „ND“ vom 10. August. Er warnte: „Wir sind keine Regierungspartei im Wartestand“; „Kampfeinsätze der Bundeswehr“ seien mit der Linkspartei „nicht zu machen“. Den Regierungslinken blies der Wind nunmehr stärker ins Gesicht.

Regierungslinke scheiterte immer wieder

Alle bisherigen Versuche von PDS und PDL, auf Bundesebene mit den Regierenden ins politische Geschäft zu kommen, scheiterten. In der PDS hatte Gregor Gysi auf dem Münsteraner Parteitag 2000 beantragt, in Einzelfällen UN-mandatierten Bundeswehreinsätzen zuzustimmen. Der Parteitag lehnte ab. Im Mai 2002 hatte sich dann der Fraktionsvorsitzende Roland Claus im Bundestag bei George W. Bush für das von drei PDS-Abgeordneten im Bundestag hochgehaltene Transparent „Mr. Bush + Mr. Schröder: Stop your wars“ unterwürfig entschuldigt. Im folgenden Bundestagswahlkampf ließ die PDS-Wahlkampfführung durchblicken, dass an ihr eine Kanzlerschaft von Gerhard Schröder nicht scheitern werde. Sie verlor bei der Wahl eine halbe Million Stimmen und kam nur noch auf vier Prozent und zwei Direktmandate. Im Vorfeld der Bundestagswahlen 2017 schlug der damalige Generalsekretär Matthias Höhn (vgl. jW vom 16. September 2016) schon einmal vor, einen offensiven Bundestagswahlkampf für R2G zu führen. Der Parteivorstand lehnte mit Zweidrittelmehrheit ab.

Strategiedebatte und Machtfrage

Im Oktober 2019 hatten Katja Kipping, Bernd Riexinger, Jörg Schindler und Harald Wolf, also dieselben, die im Mai 2020 das Bekenntnis zum Mitregieren abgaben, die Mitglieder der Linkspartei dazu aufgerufen, sich an einer Strategiedebatte zu beteiligen. Fast 300 Positionspapiere von 341 Genossinnen und Genossen sowie von Kreisverbänden, Basisorganisationen, Zusammenschlüssen und so weiter, im Umfang von 563 Seiten gingen beim Parteivorstand ein. Ende Februar fand in Kassel eine beachtenswerte Strategiekonferenz statt. Eine Favorisierung der Regierungsteilnahme, wie offenbar beabsichtigt, kam dabei allerdings nicht heraus.

Es bleibt die Achillesferse der PDL, dass in ihr das Machtproblem bisher nie ernsthaft diskutiert wurde und zunehmend mit der Regierungsfrage verwechselt wird. Auch für den Leitantragsentwurf ist diese naive Sicht auf die in der BRD herrschenden Machtverhältnisse symptomatisch. Der täuschende Schein einer möglichen Gestaltung der sozialen und ökologischen Zukunft mittels „Demokratie“ wird mit der Wirklichkeit verwechselt. Die kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse sind kaum erwähnenswert. Der geforderte Systemwechsel hat sicherlich, wie es heißt, eine „starke Linke“ und ein „breites Bündnis der gesellschaftlichen Bewegungen“ zur Voraussetzung. Nach allen Erfahrungen aber reicht das bei Weitem nicht. Notwendig sind ganz andere Klassenmachtverhältnisse. Zu Recht formuliert das Erfurter Programm von 2011: „Die Kernaufgabe der ‚Linken‘ besteht darin, zu einer Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse beizutragen.“

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"Linke diskutiert über Regierungsbeteiligung", UZ vom 28. August 2020



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