Marlene Dietrich war Antifaschistin und Vorkämpferin der Frauenemanzipation

Mehr als „Blauer Engel“

Marlene Dietrich, die vor 30 Jahren, am 6. Mai 1992, starb, war nicht allein ein Vorbild für Emanzipation, sondern auch aktive Antifaschistin. Am 27. Dezember 1901 in Berlin geboren, wurde sie zu einer der berühmtesten Schauspielerinnen aller Zeiten. Nach der erfolglosen Bewerbung an der Berliner Max-Reinhardt-Schauspielschule entdeckte sie Josef von Sternberg für sein neues Filmprojekt.

„Der Blaue Engel“ unter Sternbergs Regie und Mitwirkung Emil Jannings‘ wurde 1929 gedreht und 1930 uraufgeführt. Deutschland war schwer vom New-Yorker Börsencrash betroffen. Die Kredite, die es zur Ankurbelung seiner Wirtschaft und zur Abzahlung der Kriegsreparationen erhalten hatte, versiegten. Die schwere Wirtschaftskrise bot fruchtbaren Boden für den Aufstieg des deutschen Faschismus.

„Der Blaue Engel“ ist eine Tragödie mit Immanuel Rath als tragischem Helden, eine grundsätzlich anständige und harmlose Person, die völlig zerstört wird durch ihre Unfähigkeit, mit der neuen Zeit fertig zu werden. Rath repräsentiert die ältere Generation, die von der jüngeren Generation, seinen Schülern, zum Narren gehalten und von Lola eiskalt vernichtet wird.

Das Kabarett hatte sich in der Weimarer Republik stark verbreitet, war sehr neu und modern. Filmfreunde kennen vielleicht den 5. Akt von „Symphonie einer Großstadt“, in dem das wohlhabende Berlin 1927 in seiner modernsten Form gezeigt wird, mit Elektrizität, Kinos und Kabaretts. „Der Blaue Engel“ zeigt diese Welt als einen Überlebenskampf, in dem das Geld, die Show Vorrang vor menschlichem Anstand und Würde hat.

Raths Würde wird zerstört – sein innerer Kern, seine Identität. Zunächst verliert er jegliches Selbstvertrauen und Selbstverständnis als Lehrer. Seine Ehe ist sexuell unvollzogen und seine Frau nimmt sich Liebhaber. Doch als die Truppe in seine Heimatstadt zurückkehrt und frühere Kollegen Zeuge des Ausmaßes seiner Demütigung und Zerstörung werden, treibt es ihn in den Wahnsinn und Tod. Somit ist Rath ein wahrer tragischer Held, der an der neu angebrochenen Zeit zugrunde geht.

Damit verweist „Der Blaue Engel“ auf Aspekte des faschistischen Deutschlands, auf eine Rücksichtslosigkeit, die nicht davor zurückschreckt, Menschen zu vernichten, und die sich anschickt, kometenhaft an die Macht zu gelangen.

Sowohl Sternberg als auch Dietrich verließen Deutschland 1930 in Richtung Hollywood. In den 1930er und 1940er Jahren spielte Dietrich in vielen berühmten Filmen und gehörte zu den ersten, die emanzipierte Frauen auf der Leinwand verkörperten.

Der Film wurde 1933 in Deutschland verboten. Der jüdische Schauspieler Kurt Gerron, der im Film den Regisseur und Zauberer spielt, wurde nach entsetzlicher Demütigung von den Nazis ermordet. Der Gastwirt, der ungarisch-jüdische Schauspieler Charles Puffy, starb auf der Flucht vor den Nazis in Ungarn. Hans Albers, Lolas junger Liebhaber, blieb während des Naziregimes in Deutschland, obwohl er die Faschisten nie unterstützte. Carl Ballhaus, der den einzigen Schüler in Raths Klasse spielt, der für ihn empfindet und deswegen gemobbt wird, lebte nach der Niederlage des Faschismus in der DDR und arbeitete für die DEFA.

Als Nazi-Deutschland vielen deutschen Künstlern die Staatsbürgerschaft entzog, gab Dietrich bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs die deutsche Staatsbürgerschaft ab und nahm die US-amerikanische an. Ende der 1930er Jahre schuf sie mit Billy Wilder und anderen einen Fonds, um Verfolgten bei der Flucht aus Deutschland zu helfen. 1937 spendete sie ihre gesamte Gage für „Knight Without Armour“ der Rettung von Flüchtlingen.

Nach dem Angriff auf Pearl Harbor wurden die Amerikaner aufgefordert, sich an der Unterstützung ihrer Truppen zu beteiligen. Dietrich engagierte sich bei verschiedenen Initiativen, nahm zum Einsatz für Propagandazwecke amerikanische Lieder auf Deutsch auf, aber auch deutsche Lieder wie „Lili Marlen“. 1944 und 1945 meldete sie sich freiwillig, oft unter gefährlichen Bedingungen nahe der Front, für die Truppen zu singen.

Nach dem Krieg, 1948, übernahm sie – höchst ungern – die Rolle einer Nazi-Sängerin in Billy Wilders Komödie „A Foreign Affair“, die in den Ruinen von Berlin spielt. 1952 beschloss sie, zum Theater zurückzukehren und übernahm nur noch wenige Filmrollen. 1962 sprach sie den Text des Dokumentarfilms „The Black Fox“ über den Aufstieg und Fall Adolf Hitlers anhand von „Reineke Fuchs“. Bei weltweiten Konzerttouren nahm sie neue Antikriegslieder wie Bob Dylans „Blowin‘ in the Wind“ und Pete Seegers „Where Have All the Flowers Gone?“ in ihr Repertoire auf. 1975 zog sie sich aus dem öffentlichen Leben zurück.

Als Dietrich im Alter von 90 Jahren starb, nahmen an ihrer Trauerfeier in Paris etwa 1.500 Menschen in der Kirche und Tausende im Freien teil. Am Fuß des Sarges waren drei Medaillen angebracht, die ihren antifaschistischen Kampf würdigten.
Marlene Dietrich wollte in ihrer Geburtsstadt Berlin beigesetzt werden und so wurde ihr Leichnam am 16. Mai 1992 dorthin geflogen. Allerdings wurde dieses Ereignis in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen und nur wenige Menschen nahmen an der Beisetzung teil. Bei ihrem letzten Besuch 1960 in (West-)Berlin war sie bedroht worden und die Polizei befürchtete Störungen der Beisetzung durch neonazistische Gruppen.

Eine Welle von Hassbriefen und Beschimpfungen wie „Vaterlandsverräter“ an eine Berliner Zeitung und die Senatsverwaltung hatten den Berliner Senat veranlasst, die geplante Überführung in einem Bundeswehrjet und eine Gedenkfeier zu ihren Ehren im Deutschen Theater abzusagen. Knapp acht Monate später, am 1. Dezember 1992, gab der Berliner Senat ihr ein Ehrengrab, das ein Jahr später geschändet wurde. Erst an ihrem 100. Geburtstag am 27. Dezember 2001 entschuldigte sich die Stadt für die Anfeindungen, denen sie in (West-)Deutschland nach dem Krieg ausgesetzt war. Kein Wort über die Kontroversen um die Benennung einer Straße nach ihr, kein Wort über die Absage des offiziellen Gedenkens. Am 16. Mai 2002 wurde Marlene Dietrich posthum zur Ehrenbürgerin von Berlin ernannt.

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"Mehr als „Blauer Engel“", UZ vom 6. Mai 2022



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