Belarus ist geostrategisches Ziel bei der Einkreisung Russlands

Neuer Zug auf dem Schachbrett

Die Ereignisse der letzten Zeit in Belarus stellen eine Fortsetzung des verdeckten Krieges gegen Russland und China zur Durchsetzung einer Weltordnung nach dem Bilde Henry Kissingers und der von Zbigniew Brzezinski skizzierten „Politik des großen Schachbretts“ dar.

Mit der Aufnahme der osteuropäischen Staaten in die NATO und EU wurde der Einfluss- und Herrschaftsbereich der imperialistischen Zentren nach dem Osten ausgedehnt. Die Politik der USA und der NATO verwandelte inzwischen das Territorium zwischen Baltikum und Schwarzem Meer in ein militärisches Aufmarschgebiet gegen Russland.

Zwischen NATO und Russland liegen in Mittel- und Südosteuropa noch die ehemaligen Sowjetrepubliken. Nur Belarus konnte bisher aus dem antirussischen Machtspiel der USA, der NATO und der EU herausgehalten werden. Sie glauben nun, die inneren Schwierigkeiten in Belarus nutzen zu können, um die Kräfteverhältnisse nicht nur dort und in der Region unmittelbar an der Grenze zu Russland, sondern in ganz Europa zu ihren Gunsten weiter zu verändern. In ihrem Sinne soll nicht nur ein Regime-Change in Belarus, sondern es sollen auch günstigerer Bedingungen für die Verwirklichung der antirussischen Ziele entstehen.
Es ging und geht also nicht nur um ein bilaterales Verhältnis USA oder EU zu Belarus, sondern um Geopolitik, um den Kampf um den postsowjetischen Raum. Und das bei Fortbestehen und Verschärfung der Lage in der Ukraine.

Dafür werden durch USA, NATO und EU ökonomische, politische, militärische und ideologische Mittel eingesetzt. Da ist das Manöver „Defender“2020. Nur 15 (!) Kilometer von der Grenze zu Belarus entfernt übte man die größte Truppenverlegung aus den USA nach Europa, die in den vergangenen 25 Jahren stattgefunden hat. Laut US-amerikanischen Erklärungen ist das jetzige Vorgehen der einstigen Übung „Reforger“ (Return of Forces to Germany) ähnlich, Manöver, die in den 1960er bis 1990er Jahren stattfanden und als Vorbereitung der NATO zum potenziellen Konflikt „mit dem Ostblock“ galten. Zudem wurde in den baltischen Staaten von der NATO, den USA und Deutschland kräftig militärisch investiert.

Hunderte Millionen Dollar und Euro wurden für die langjährige, systematische Tätigkeit zahlreicher NGOs in Belarus von den USA, der EU sowie ihrer Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt. Dazu gehören die rechtsliberale Stiftung „Liberale Moderne“ der Grünen und andere deutsche, US-amerikanische und weitere ausländische Stiftungen.

Die Präsidentschaftskandidatin Tichanowskaja, die sich als Führerin der Opposition anbot, sei bisher politisch nicht aktiv gewesen. Man verschweigt aber, dass ihre Sprecherin zum Beispiel an der East European School of Political Studies in der Ukraine studiert hat. Diese Institution wird unter anderem vom US-amerikanischen „Freedom House“, der Adenauer-Stiftung und der Open-Society-Foundation des Finanzmagnaten György Soros gefördert.

Nach jahrzehntelangem Stillstand in den politischen Beziehungen zwischen den USA und Belarus besuchte der damalige Sicherheitsberater von Präsident Trump, John Bolton, im Sommer 2019 das Land, um die Beziehungen wieder zu verbessern. Er versprach unter anderem Unterstützung der Souveränität und Unabhängigkeit von Belarus durch die USA. Im Februar 2020 folgte ein Besuch des US-Außenministers Mike Pompeo in Minsk. Lukaschenko wies darauf hin, dass er eine diplomatische Aufwertung der Beziehungen nutzen möchte, um eine „starke, konstruktive Beziehung mit den Vereinigten Staaten“ aufzubauen, die auf „gemeinsamen Werten und Prioritäten“ beruhe. Offensichtlich war der Wille, antirussische Narrative zu bedienen. Dazu nutzte Pompeo bei seinem Besuch Anfang 2020 besonders den Streit zwischen Belarus und Russland über die Energiepreise. Er bot zum Beispiel an, Belarus zu „100 Prozent“ zu beliefern.

Die USA, die NATO und die EU nutzten in den letzten Jahren und besonders vor den Wahlen alle sich ihnen bietenden Mittel, um die Stimmung im Land in ihrem Sinne zu beeinflussen und auszunutzen. Und in einem Land, das plötzlich aus seinem historisch gewachsenen Verbund herausgerissen wird, gibt es allerorten und allezeit viele Konflikte, die gelöst oder geschlichtet werden müssen. Präsident Lukaschenko war stets bemüht, „Stärke“ zu zeigen. Er hat aber vernachlässigt, die Erfahrungen der Perestroika zu berücksichtigen, die gezeigt haben, dass es zu Wirren immer dann kommt, wenn und weil es in den Köpfen durcheinander geht, nicht weil die Muskeln schlapp sind.

Russland geht laut Außenminister Lawrow davon aus, die schwierige Lage in Belarus nicht zu missbrauchen, um einen normalen, gegenseitig respektvollen Dialog zwischen Macht und Gesellschaft nicht zu ruinieren. Es sei innen- und außenpolitisch, geo- und europapolitisch destruktiv und gefährlich, Belarus zu einer Entscheidung nach dem Motto zu drängen, sich entweder mit Russland oder mit Europa beziehungsweise mit den USA zu verständigen. Er erinnerte an das Beispiel Ukraine.

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"Neuer Zug auf dem Schachbrett", UZ vom 28. August 2020



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