In der Schule und darüber hinaus: Aktion gegen Bildungsunterfinanzierung in Kassel

Projekttag „Widerstand“

Von Freya Pillardy

Alle knapp 1000 Schüler der Offenen Schule Waldau (OSW) in Kassel versammelten sich, ausgestattet mit Bauhelmen und Warnwesten, vor ihrer Schule. Die Stimmung war kämpferisch. Der 16-jährige David, Schulsprecher, betonte in seinem Redebeitrag, dass Geld für Bildung fehle, weil Milliarden für Rüstung ausgegeben würden, was nicht in unserem Interesse, sondern im Interesse von deutschen Großkonzernen sei.

Mit dieser Aktion wollen die Schüler auf die Sicherheits- und Gesundheitsgefährdung aufmerksam machen, der sie sich ausgesetzt sehen. Grund dafür ist der schlechte Zustand der Naturwissenschaftsräume der OSW: Die Prüfsiegel der Abzugshauben sind zu alt und auf dem Flur regnet es rein, weil Löcher in der Decke sind – die Fenster im Flur lassen sich nicht öffnen. Hinzu kommt, dass zum Experimentieren notweniges Material wie Brenner und Reagenzgläser veraltet sind oder für einige Schülerversuche nich ausreichend vorhanden. Die Naturwissenschaftsräume sind für 22 Schüler ausgelegt, real sind es bis zu 34 Schüler, die dort im Unterricht sitzen. Mit dieser Situation sind die Schüler der OSW täglich konfrontiert. Mit ihrer Aktion wollen sie zeigen, dass es sich lohnt, Widerstand zu leisten. Sie zeigen sich davon überzeugt, dass die Welt sowie die Probleme an der Schule veränderbar sind.

Es war ie Schülervertretung (SV), die einen Projekttag zum Thema Bildungsunterfinanzierung durchführte, die Aktion war ein Bestandteil. In den Klassen wurde darüber diskutiert, wie Schule aussehen könnte, wenn genug Geld für Bildung da wäre, wieso angeblich Geld fehlt und wie das Schulsystem in anderen Ländern wie in Kuba oder Skandinavien aussieht. Es wurde das Bewusstsein vermittelt, dass die Probleme an der Schule mit unserem Gesellschaftssystem zu tun haben. Die älteren Schüler besuchten eine Podiumsdiskussion mit Politikern der etablierten Parteien, wo aber (Zitat eines Schülers): „Nur Gelaber rauskam und die Parteien sich gegenseitig die Verantwortung zuschoben“. Lediglich der junge Vertreter der „Partei Die Linke“ sah die Notwendigkeit für Protestaktionen.

Die materielle Grundlage zur Lösung dieser Probleme ist gegeben. Für die Rettung von Banken wurden 700 Milliarden ausgegeben – davon hätte man allen Schülern Deutschlands an jedem Schultag in den nächsten 120 Jahren ein Mittagessen finanzieren oder 50 000 neue Lehrer 20 Jahre lang einstellen können. Statt einem Kampfhubschrauber „Tiger“ der Bundeswehr hätte man 2 429 Grundschulen bauen können. Doch wer möglichst billig systemkonforme Arbeitskräfte ausbilden will, die dann die Profite der Kapitalisten erarbeiten, der sieht das Geld lieber für Rüstung und Unternehmenssubventionen ausgegeben.

Dieser Projekttag kann nur ein Anfang sein, wie ein Mitglied der SV feststellte. Um etwas zu erreichen, müssen die Aktionen stadtweit koordiniert weitergehen und eine größere Öffentlichkeit erreichen, um mehr Druck zu machen, u. a. auf die Kommunalpolitik.

Dass dieser Protest nicht auf eine Schule beschränkt bleibt, ist umso wichtiger, weil diese Schule kein Einzelfall ist. Überall fehlt Geld für Bildung. In allen größeren Städten Hessens fehlen beispielsweise mehrere hundert Millionen für die Sanierung von Schulen. Laut Berechnungen der GEW sind es bundesweit etwa 34 Milliarden, die für die maroden Schulgebäude benötigt werden.

Die durchschnittliche Klassengröße liegt bei 26 Schülern in der Gymnasialstufe – mit einer individuellen Förderung der Schüler ist das nicht vereinbar. Laut Berechnungen des Kreisschülerrats Kassel können sich die Kosten für Bildung, die eine Familie pro Schuljahr aufwenden muss, gut und gerne mal auf 1000 Euro belaufen, wobei Kosten für Nachhilfe noch nicht eingerechnet sind. Etwa 13 Prozent aller hessischen Schüler sind bereits heute auf Nachhilfe angewiesen.

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"Projekttag „Widerstand“", UZ vom 30. Juni 2017



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