Sieben Jahre nach der Lehman-Brothers-Pleite

Kolumne von Lucas Zeise

Es war ein bemerkenswertes Ereignis. Am 15. September 2008 meldete die Investmentbank Lehman Bro­thers mit Sitz in New York Insolvenz an. Das Ereignis markiert nicht den Beginn der Finanzkrise. Der fand ein Jahr früher, im August 2007 statt. Die Pleite von Lehman Brothers führte aber vor, wie der Zusammenbruch des weltweiten Finanzsystems ablaufen könnte. Weil Banken generell, aber eben auch Investmentbanken, ihre Geschäfte ganz überwiegend mit geliehenem Geld machen, führt die Insolvenz einer Bank zu riesigen Problemen bei ihren Gläubigern. Das sind naturgemäß auch Banken, die ihrerseits in Insolvenzgefahr geraten. Eine Bank-Pleite bedroht also unmittelbar das gesamte (nationale) Finanzsystem und damit die Zahlungsfähigkeit der Kapitalisten und einfachen Bürger. Das Bemerkenswerte an der Lehman-Brothers-Pleite war, dass sie (von der US-Regierung und Notenbank) zugelassen wurde.

Schließlich waren im Zuge der Finanzkrise andere Banken mit Staatshilfe gerettet worden. In den USA beispielsweise die Investmentbank Bear Stearns und die beiden riesigen Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac. Bankenrettung ist Standard. Das Zulassen einer Bankpleite ist dagegen die Ausnahme. Warum wurde Lehman Brothers also fallen gelassen? Der damalige Finanzminister Henry Paulson war, wie so viele der führenden Politiker in den USA und Europa, Partner bei Goldman Sachs gewesen, dem größeren Konkurrenten von Lehman. Er habe die Konkurrenz eliminieren wollen, wird ihm nachgesagt. Mag sein, dass das bei der Auswahl des Opfers eine Rolle gespielt hat. Die US-Regierung hatte ein Jahr lang zugesehen, wie die Finanz- und Immobilienkrise unbeeindruckt von allen Bankenrettungsmaßnahmen sich immer mehr ausweitete. Die US-Wirtschaft befand sich seit dem 4. Quartal 2007 in der Rezession. Paulson und der damalige Chef der US-Notenbank Ben Bernanke kalkulierten vermutlich zu Recht, dass eine große Stützungsaktion des gesamten Finanzsystems erforderlich war. Politisch war die nur in einer evidenten Notsituation zu erhalten.

Die Lehman-Brothers-Pleite stellte diese Evidenz her. Nur zwei Tage nach der Lehman-Pleite rettete der US-Finanzminister die damals größte Versicherungsgesellschaft der Welt AIG. Und ein paar Wochen später verabschiedete der US-Kongress ein riesiges Rettungsprogramm für alle US-Banken und Geldmarktfonds. Ganz Ähnliches geschah in Europa und Japan. Nie zuvor wurden so viele öffentliche Mittel in den Erhalt (und, wie Frau Merkel immer wieder betont, die Stärkung) der nationalen Banksysteme gesteckt. Das war nicht populär, aber dank der Pleite von Lehman Brothers für alle erkennbar ohne Alternative.

Sieben Jahre später ist der Finanzsektor wieder größer als damals. Gerade deswegen ist er anfällig und zerbrechlich. Er bedarf kontinuierlicher Stützung und erhält sie. Trotzdem gedeiht die Spekulation, während die Krise der Weltwirtschaft anhält.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher laden wir Sie ein, die UZ als Wochenzeitung oder in der digitalen Vollversion 6 Wochen kostenlos und unverbindlich zu testen. Sie können danach entscheiden, ob Sie die UZ abonnieren möchten.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Sieben Jahre nach der Lehman-Brothers-Pleite", UZ vom 18. September 2015



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Schlüssel.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit