SPD-Parteitag – Durchmarsch der Totengräber

Eine Glosse von Guntram Hasselkamp

Minutenlange Standing Ovations für Gerhard Schröder auf dem SPD-Parteitag. Spätestens an diesem Punkt gilt Dantes Satz aus dem Inferno: „Lasst, die ihr hier eintretet, alle Hoffnung fahren!“ Schröder, neben Walter Riester, Franz Müntefering, Peter Hartz, „Bert“ Rürup, Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und Wolfgang Clement der namhafteste Totengräber des sozialdemokratischen Reformismus, hatte den Anlass der Ehrung für die gestorbenen SPD-Mitglieder Grass, Bahr und Schmidt zu einer umfassenden Geschichtsrevision im Geiste der neoliberalen Austerität und des geostrategischen Interventionismus genutzt. Ovationen für den Agenda-Kanzler, der die eigene Katastrophe und die der arbeitenden Menschen zur Erfolgsgeschichte umlügt. Bravo! Weiter so! Das muss man erst einmal bringen.

Früher kam es gelegentlich vor, dass die Altvorderen auch die SPD-Hymne von Hermann Claudius gesungen haben. Natürlich nicht ohne das „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“ besonders schwerfällig-langsam herunter zu leiern. Das sagte alles. Nicht so klar, war damals der tiefe Wahrheitsgehalt des Refrains: „Mit uns zieht die neue Zeit!“ Heute, nach fast 13 Jahren Agenda-Politik, muss man neidlos zugeben: In der Tat – die neue asoziale, neoliberale Kriegszeit.

Als alter Hoesch-Arbeiter hat man natürlich ein ambivalentes Verhältnis zur SPD. Manche von uns hatten sogar den Button „Willy wählen“ getragen. Aber dann kam Helmut Schmidt und mit ihm das atomare Totrüsten der Sowjetunion. Das erinnerte schon stark an Noske und Zörgiebel. (Und war leider erfolgreicher.) Aber dann waren da die SPD-Kollegen, mit denen man in vielem zusammenarbeiten konnte und musste, wenn man etwas erreichen wollte. Die aber der SPD ihren Sozialdemokratismus glaubten und, in einer Art ungläubig realitätsresistentem Traditionalismus, noch immer glauben. Es ist schon seltsam, die aufrichtigen Kollegen vor Ort gegen die Konsequenzen der Politik ihrer eigenen Partei ankämpfen zu sehen.

Eigentlich war mit Kurt Schumachers „rotlackierten Nazis“ schon klar, wohin die antikommunistische Reise nach 1945 gehen würde. Ausgerechnet Schumacher, der als einarmiger WK-I-Veteran das KZ wohl nur durch die Hilfe seiner kommunistischen Mithäftlinge überlebte. Godesberg war da nur noch der programmatische Vollzug, um in der Adenauerrepublik auch vorne mitspielen zu dürfen.

Als nach 1989 der üppig rheinisch-kapitalistische Kampf gegen die „rotlackierten Nazis“ vom karg neoliberal-militärischen „Kampf der Kulturen“ abgelöst wurde, bekam die SPD ein existentielles Strategieproblem. Mit der fetten Mobilisierung des Reformismus gegen die Revolution, welche nicht nur die CIA nach Churchills-Fulton-Rede so effizient betrieben hatte, war Schluss. Schon 1983 hatte Ralf Darendorf hellsichtig das Ende des „sozialdemokratischen Zeitalters“ verkündet. Da wollten viele es noch nicht wahrhaben. Aber nach 1989 hatte die siegestrunkene Sozialdemokratie real nur noch ein einziges relevantes Projekt: Ihre eigene Abwicklung als Zukunftsvision zu verkaufen. Diese Aufgabe übernahmen Gerhard Schröder und Tony Blair.

1999 schloss die SPD nicht nur einen Burgfrieden, sondern wurde Kriegstrommler gegen das, was Genschers Pro-Separatismus von Jugo­slawien noch übrig gelassen hatte. Sie zertrat zusammen mit den Oliv-Grünen das große antifaschistisch-pazifistische Vermächtnis von 1945: „Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen!“ 2003 kassierte die SPD mit der Schröderschen Agenda das Sozialstaatsversprechen und wurde zum Sturmgeschütz der neoliberalen, überwachungsstaatlich gestützten Gegenreform. Es wurde ihr Herzensanliegen die Reichen reicher und die Armen ärmer zu machen. Sie half den Kohlschen Euro-Paternalismus zu beenden und kämpft nun in der Groko für die propagandistische Absicherung des Berlin/Brüsseler Austeritätsdiktats: „Wir werden nicht die überzogenen Wahlversprechen einer zum Teil kommunistischen Regierung durch die deutschen Arbeitnehmer und ihre Familien bezahlen lassen.“

Die SPD heißt zwar sozialdemokratische Partei, sie ist es längst nicht mehr. Sie hat das reformgläubige „Unsere Kinder sollen es einmal besser haben“ gegen das neoliberale „Unsere Kinder sollen es einmal besser als andere haben“ eingetauscht. Das löste Irritationen aus. Vor allem bei jenen Sozialdemokraten, die ihre Mitgliedschaft nicht nur als Karrieresprungbrett betrachten. Die Parteivorsitzenden kamen und gingen. Nun ist es Sigmar Gabriel mit 74 Prozent. Einige Funktionäre wollen wohl nicht glauben, dass ihre Führung längst eine eigenständige „linke“ Mehrheit abgeschrieben hat. Es reicht ihnen die gut dotierte 24-Prozent-Rolle als Mehrheitsbeschafferin der CDU-Politik. Im Willy-Brandt-Haus ist eine Politik links der vier neoliberal gleichmarschierenden Systemparteien nicht einmal mehr vorstellbar. Es muss schon hart kommen, damit so etwas wie die AfD boomt.

Deutschland ist im Krieg. Die USA haben Deutschland/Europa in eine gefährliche und kostspielige Konfrontation mit Russland getrieben. Zu dem Desaster des Afghanistan-Kriegs, kommt nun das des Syrien- und das des Mali-Krieges. Frank-Walter Steinmeier will, Völkerrecht hin oder her, anders als „die Heuchler von der Linkspartei“, Deutschland nicht nur am Hindukusch, sondern auch in Timbuktu und Aleppo verteidigen. Heiko Maas will mit NSA, BND und Co. die Generalüberwachung. Die Euro- und die Flüchtlings-Krise bedroht das strategisch prioritäre Projekt des deutschen Imperialismus, die Integration Europas unter deutscher Führung. Zudem steht das Investoren-Schutzabkommen TTIP massiv in der Kritik. Da heißt es für Sigmar Gabriel und seine Mitstreiter: „Verantwortungsvoll handeln“ – Wir werden zwar nicht „die überzogenen Wahlversprechen einer zum Teil kommunistischen Regierung“, dafür aber sehr wohl – mit viel Friedens-, Freiheits- und Gerechtigkeitsgetöse – die Kriege von Kanonen-Ulla, die Rettung der Banken wie die Ruinierung Europas und die Profitsicherung der Großindustrie, durch die nun bestens abgehörten, „deutschen Arbeitnehmer und ihre Familien bezahlen lassen“.

Gibt es noch irgendetwas, zu dem sich diese Partei nicht hergibt?

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"SPD-Parteitag – Durchmarsch der Totengräber", UZ vom 18. Dezember 2015



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