Verhaltene Zustimmung

Werner Sarbok im Gespräch mit Achim Bigus

UZ: Wie wird der Abschluss bei Volkswagen Osnabrück diskutiert?

Achim Bigus ist IGM-Vertrauenskörperleiter bei VW Osnabrück

Achim Bigus ist IGM-Vertrauenskörperleiter bei VW Osnabrück

( UZ-Archiv)

Achim Bigus: Sehr kritisch. Wir konnten in drei Warnstreiks die Beteiligung gegenüber den letzten Tarifrunden noch einmal steigern. Und wir sind eine der gut organisierten und kampferfahrenen Belegschaften, die im Falle einer Nichteinigung zu Tagesstreiks aufgerufen worden wären. Darauf hatten wir uns seit Monaten vorbereitet.

Die Vertrauensleute waren am Dienstag nach Pfingsten zu einer Vollversammlung eingeladen, um bei einem Scheitern der Verhandlungen das Mitgliedervotum über den dann nötigen Tagesstreik einzuholen. Dort haben wir jetzt den Pilotabschluss von NRW diskutiert. Unter dem Eindruck unserer erfolgreichen Aktionen konnten viele Vertrauensleute die Zugeständnisse der IG Metall in den Kölner Verhandlungen nicht nachvollziehen: die beiden Nullmonate, die zweite Stufe mit nur zwei Prozent, die lange Laufzeit mit Ende der Friedenspflicht im Winter und die Möglichkeit zur Differenzierung bei „unterdurchschnittlicher Ertragslage“.

Ich weiß aber, dass dies in anderen Betrieben auch ganz anders diskutiert wurde. In der Tarifkommission kam aus den meisten Betrieben nicht unbedingt Begeisterung, aber doch deutliche Zustimmung zum Abschluss. Dies ist auch bundesweit so.

UZ: Vor welchem Hintergrund erfolgte der Abschluss?

Achim Bigus: Es gibt extreme Unterschiede zwischen den einzelnen Betrieben bei der wirtschaftlichen Lage und der gewerkschaftlichen Kampfkraft. Das wurde selbst in unserem kleinen Tarifgebiet Osnabrück-Emsland sichtbar, schon bei der Aufstellung der Forderungen. Einige Betriebe haben eine sehr gute Auftragslage und machen hohe Gewinne, manche haben eine geringe Ertragslage trotz hoher Auslastung, andere Belegschaften erleben gerade Massenentlassungen oder Teilschließungen. Auch der gewerkschaftliche Organisationsgrad und die Kampf­erfahrungen sind sehr unterschiedlich. Die Spanne der betrieblichen Forderungen reichte von 3,5 bis 7 Prozent, insofern war die Gesamtforderung von fünf Prozent für uns völlig in Ordnung, obwohl wir bei VW Osnabrück eine höhere Forderung diskutiert hatten.

Auch aus NRW und anderen Regionen wurde eine ähnlich differenzierte Situation berichtet. Die Gesamtmetall-Forderung nach mehr Differenzierung traf also eine Schwachstelle der IG Metall. Gut ist, dass diese jetzt nicht mit den Betriebsräten auszuhandeln ist, sondern der Zustimmung der Tarifparteien bedarf. Wir werden vor der nächsten Runde Bilanz ziehen müssen, inwieweit die Kapitalseite mit dieser Regelung die Verbindlichkeit des Flächentarifvertrages weiter aufweichen konnte.

Zum Hintergrund gehört auch der ausgesprochene Konfrontationskurs der Unternehmer in dieser Tarifbewegung. Vor allem mit dem letzten Abschluss hatte die IG Metall nicht nur eine Reallohnsteigerung erreicht, sondern auch den jahrelangen Niedergang der Lohnquote aufgehalten und begonnen, dieser Umverteilung von unten nach oben wieder entgegenzuwirken. Diese Tendenz wollte die Gegenseite unbedingt stoppen. Das dürfte ihr mit diesem Abschluss auch gelungen sein und wird von ihr entsprechend bejubelt.

UZ: Wäre bei dem Abschluss für die Kolleginnen und Kollegen mehr drin gewesen?

Achim Bigus: Auf die Provokation der Unternehmer mit ihren anfänglichen Niedrig-Angeboten haben die Beschäftigten mit massiven Warnstreiks reagiert. Für einen besseren Abschluss wäre allerdings in jedem Falle mehr Einsatz der Belegschaften nötig gewesen als zwei Warnstreikwellen. Ob dies in der Fläche drin gewesen wäre, würde ich angesichts der breiten Zustimmung in den Tarifkommissionen bezweifeln.

Das neue Instrument der Tagesstreiks hat sich bewährt. Schon die Drohung damit hat zum Einlenken der Unternehmer gegenüber ihren anfänglichen Billigangeboten beigetragen. In der Vorbereitung darauf haben wir auch unsere Warnstreiks noch besser organisiert. Und die Befragung der Mitglieder über die Vertrauensleute unmittelbar nach den entscheidenden Pilot-Verhandlungen ist ein neues Werkzeug zur stärkeren Beteiligung der Mitglieder und Demokratisierung der Tarifpolitik.

Für bessere Ergebnisse kommt es vor allem darauf an, die Zahl der streikfähigen Betriebe zu erhöhen. In der Vergangenheit haben sich zu viele Beschäftigte in zu vielen Betrieben darauf verlassen, dass einige kampfstarke Betriebe auch für sie die Kastanien aus dem Feuer holen. Die Unternehmer haben mit ihrem Konfrontationskurs in dieser Runde ein deutliches Sig­nal gesetzt, dass dies in Zukunft immer weniger funktionieren wird. Sie haben so einmal mehr die Feststellung von Karl Marx bestätigt, dass sich die Frage nach dem Verhältnis von Profit, Lohn und Arbeitszeit auflöst „in die Frage nach dem Kräfteverhältnis der Kämpfenden“.

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"Verhaltene Zustimmung", UZ vom 27. Mai 2016



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