Beschäftigte fordern den sozial-ökologischen Umbau der Stahlindustrie

„Walk of Steel“ im Saarland

Mit einem Protestmarsch haben sich Stahlarbeiter im Saarland aufgemacht, um ihre Forderungen durchzusetzen. Darüber sprachen wir mit Stephan Ahr, Betriebsratsvorsitzender der Saarstahl AG, Völklingen.

UZ: Die Saarstahler haben ihren „Walk of Steel“ angetreten. 350 Kilometer im Winter? Respekt. Wohin und mit welchem Ziel?

Stephan Ahr: Nach Brüssel zur EU. Dort stehen Entscheidungen für die Zukunft der Stahlindustrie in der EU an. Und wir fordern Entscheidungen, die den sozial-ökologischen Umbau der Stahlindustrie möglich machen. Bisher tut sich dort nichts, zumindest nichts im Interesse der Stahlarbeiter. Die Zeit drängt.
Wir haben genug stillgelegte Hochöfen, die als Weltkulturerbe gepflegt werden. Es reicht. Wir wollen EU-Kommissar Timmermans, der verantwortlich ist für den „Green Deal“, deshalb unsere Forderungen für eine Zukunft der Stahlindustrie und ihrer Standorte überreichen.

UZ: Wie viele Kolleginnen und Kollegen haben bisher mitgemacht? Wie war die Resonanz und Solidarität?

Stephan Ahr: Rund 50 Kolleginnen und Kollegen sind wechselnd in Etappen bei Wind und Wetter unterwegs. Beim Auftakt in Völklingen und unterwegs waren wir oft 200. Kolleginnen organisierten eine Etappe der Frauen. Überall ging der „Daumen hoch“. Solidarität gab es viel. Die Resonanz in den Medien war gigantisch. Öffentlichkeit und Politik wurden mit unserer Aktion sensibilisiert. Wir haben schon jetzt unser Ziel erreicht. Auf der Schlussetappe werden uns Kolleginnen und Kollegen von anderen Stahlstandorten begleiten und unterstützen.

UZ: Was steht auf dem Spiel, wenn in der Politik in Bezug auf diese Branche so weiter gewirtschaftet wird?

Stephan Ahr: In der Stahlindustrie an der Saar arbeiten derzeit 14.000 Menschen. Mindestens weitere 22.000 Arbeitsplätze hängen davon ab. Es geht um über 500 qualifizierte Ausbildungsplätze: Industriemechaniker, Verfahrenstechnologen, Betriebstechniker und -elektroniker, Produktdesigner und so weiter. In diesem Wirtschaftszweig werden jährlich 600 Millionen Euro Lohn und Entgelt bezahlt, im Eine-Million-Einwohner-Land Saarland eine Menge Kaufkraft. Es greifen jetzt schon Existenzängste um sich.

UZ: Brüssel ist eine Adresse. Wo siehst du die Aufgaben der Bundes- und der Landesregierung?

Stephan Ahr: Wir fordern von der Bundesregierung eine langfristige, verlässliche Konzeption für eine zukunftsorientierte Industriepolitik. Wir fordern Entscheidungen „pro Stahlindustrie“. Wir fordern die entsprechende Unterstützung zum sozial-ökologischen Umbau. Die Kanzlerin hat mir auf einer CDU-Veranstaltung in Dillingen zugesagt, sich für unsere Anliegen einzusetzen. Bisher spüre ich nichts. Sie muss endlich zu ihrem Wort stehen.

Von der Landesregierung fordern wir mehr als nur Lippenbekenntnisse, sondern klare Forderungen an die Bundesregierung. Es muss endlich entschlossen und konsequent aufgetreten werden, damit die Arbeitsplätze hier an der Saar gesichert werden können. Es geht um den industriellen Kern des Landes. Statt Worten fordern wir mehr konkrete Taten!

UZ: Es geht letztlich um Investitionen, um Geld dafür. Wo sind aus deiner Sicht Quellen für die notwendigen Mittel zum Umbau?

Stephan Ahr: Die BRD ist eines der reichsten Länder der Welt. Die Reichen werden reicher – die Schere geht immer weiter auseinander. Es geht um eine grundlegend andere Verteilung, in deren Mittelpunkt die Befriedigung der Bedürfnisse aller Mitglieder der Gesellschaft steht. Es geht um gleiche Lebensverhältnisse in allen Bundesländern. Dies muss sich gerade jetzt in einer entsprechenden Strukturpolitik in Bund und Land widerspiegeln.

UZ: Wer sollte entscheiden, wie die Mittel, wenn sie vorhanden sind, vor allem nachhaltig bei Saarstahl eingesetzt werden? Wie steht es konkret um die Möglichkeiten der Montanmitbestimmungsorgane?

Stephan Ahr: Wir wollen für die SHS (Saarländische Stahlholding – Dillinger Hütte und Saarstahl) die volle Montanmitbestimmung. Derzeit ist die Geschäftsführung nicht an den Vorschlag des IG-Metall-Vorstandes zur personellen Besetzung zum Beispiel des Arbeitsdirektors gebunden. Das hat konkrete Nachteile für uns, weil das Kräfteverhältnis in Entscheidungsgremien für uns schlechter ist. Wir fordern die komplette Montanmitbestimmung. Ich selbst finde auch, dass dem Komplex Montanmitbestimmung in der IG Metall wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Wir sollten jede noch so kleine Möglichkeit nutzen, Kräfteverhältnisse zugunsten der Beschäftigten zu verändern. Ich bin deshalb auch für die Ausweitung der Montanmitbestimmung.

UZ: Millionen vor allem junger Menschen fordern weltweit energische Maßnahmen zur Bekämpfung der sich zuspitzenden ökologischen Krise wie der Klimaveränderung. Siehst du den Kampf der Stahlarbeiter für ihre Zukunft auch in einem Zusammenhang damit?

Stephan Ahr: Unbedingt. Wir stehen für Klimaschutz und ökologischen Wandel. Weltweit. Unter gleichen Bedingungen und Standards. Unser Beitrag wäre „sauberer Stahl“, der CO2 neutral hergestellt wird, und Sicherung von Arbeitsplätzen in diesem Umbauprozess. Dies ist der Kern des 14-Punkte-Forderungskataloges der IG Metall Völklingen.

UZ: Zum Kapitalismus gehören seine Wirtschaftskrisen, die Stahlkrise ist ein Teil davon. Faktoren sind dabei die Überproduktion, die sich immer verschärfende Konkurrenz, der damit verbundene ruinöse Preiskampf auf dem Weltmarkt. Wäre auf internationaler Ebene ein staatlich regulierter Stahlmarkt, der solidarischer und bedarfsorientierter verhandelt und organisiert wäre, eine Alternative im Interesse des notwendigen sozial-ökologischen Umbaus und auch der Beschäftigten?

Stephan Ahr: Grundsätzlich halte ich einen solchen Ansatz für denkbar. Aber angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage dies durchzusetzen ist eine große Herausforderung. Wir sollten dies aber auf unserer Agenda haben.

UZ: Es gibt die Position in Deutschland und auch im Saarland, auch wegen des hohen Verbrauchs von „grünem Strom“ komplett auf die Stahlproduktion zu verzichten, weil nur so die Energiewende zu schaffen sei …

Stephan Ahr: Energiewandel und die Erreichung der CO2-Ziele werden ohne Stahl nicht möglich sein. Das dürfte klar sein. Die entscheidende Frage aber ist, wo Stahl dafür in Zukunft mit welcher Ökobilanz produziert und eingekauft wird. Muss dabei die hoch entwickelte heimische Stahlindustrie mit tausenden Arbeitsplätzen vor die Hunde gehen? Wir sagen nein.

Stahl hat Zukunft. Dies muss auch in unserem Land gelten. Dafür kämpfen wir weiter.

Das Gespräch für die UZ führte Artur Moses

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"„Walk of Steel“ im Saarland", UZ vom 14. Februar 2020



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Stern.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit