Lindners „Schuldenbremse“ zielt auf öffentliche Daseinsvorsorge. Freie Fahrt für Konzerne und Rüstungsausgaben

Wer bremst hier wen?

Am 16. November tagt der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages. Dort finden voraussichtlich die entscheidenden Beratungen zu den von der Bundesregierung beschlossenen Kürzungen im Bundesetat für das kommende Jahr statt. Einige Haushaltsposten sollen um bis zu 20 Prozent gekürzt werden. Als Totschlagargument für den geplanten Sozialabbau muss wieder einmal die Schuldenbremse herhalten.

Schon als die Große Koalition sich 2009 darauf einigte, diese in die Verfassung aufzunehmen, kommentierte der DGB dies wie folgt: „Die Schuldenbremse bremst keine Schulden. Sie nimmt dem Staat aber eine wesentliche Möglichkeit, auch in normalen Zeiten Innovationen anzustoßen, schnell auf ökologische und soziale Herausforderungen zu reagieren und infrastrukturell für die Zukunft vorzusorgen. Künftige Generationen werden eine dramatisch verschlechterte Infrastruktur, marode Schulen, Krankenhäuser erben und – durch die Regelung im Grundgesetz – die Unmöglichkeit, an dieser Situation ökonomisch sinnvoll etwas zu verändern.“

Eine desolate Infrastruktur und eine kaputtgesparte öffentliche Daseinsvorsorge haben den Kritikern von damals Recht gegeben. Dies hat Bundesfinanzminister Christian Lindner jedoch nicht davon abgehalten, erneut auf die Einhaltung der Schuldenbremse zu pochen. In einem Gastbeitrag im „Spiegel“ in der vergangenen Woche behauptete er sogar, sie habe eine „höhere Weisheit“. Sie zwinge die politischen Entscheiderinnen und Entscheider zu wirklicher Verantwortung. Jedem alles immer zu versprechen – das erlaube sie nicht.

Angesichts von Rezession und katastrophalen Wirtschaftsdaten scheinen die Apologeten des Neoliberalismus in Erklärungsnot zu geraten. Wie anders lässt sich die Flucht Lindners ins Quasi-Religiöse und dessen Verweis auf eine angebliche „höhere Weisheit“ erklären? Auch die weiteren Argumente des Ministers für die Schuldenbremse und gegen ihre Aufweichung oder Abschaffung sind weder neu noch originell.

Die Schuldenbremse sei geltendes Verfassungsrecht und die Achtung der Fiskalregeln lägen nicht im Ermessen des Finanzministers oder der Haushaltspolitiker der Koalitionsfraktionen. So viel „Verfassungstreue“ würde man sich auch bei dem ebenfalls im Grundgesetz verankerten Grundsatz „Eigentum verpflichtet“ wünschen.

Des Weiteren behauptet Lindner, dass die Schuldenbremse die Handlungsfähigkeit des Staates schütze. Sie zwinge die Politik, Prioritäten zu setzen. „So werden durch einen demokratischen Aushandlungsprozess die öffentlichen Mittel einer möglichst effizienten Verwendung zugeführt.“ Was er mit „möglichst effiziente Verwendung“ meint, kann man anhand des bereits erwähnten Bundeshaushalts für 2024 erahnen: Massive Kürzungen in den Bereichen Soziales, Bildung und Gesundheit bei einer gleichzeitigen Aufstockung des Rüstungsetats.

Auch das Wirtschaftswachstum wird nach Ansicht des Ministers durch das Instrument der Schuldenbremse nicht gebremst. Deutschland brauche zwar höhere Investitionen, allerdings würden diese meist im privaten Sektor erfolgen. Hier müssten die Rahmenbedingungen verbessert werden. In der Vergangenheit bedeutete dies konkret: Steuersenkungen und Subventionen für die großen Konzerne – selbstverständlich ohne dies an Bedingungen wie Beschäftigungssicherung oder gar Tarifbindung zu knüpfen.

Des Weiteren würde durch die Schuldenbremse ein wirksamer Klimaschutz veranlasst. Gezielte staatliche Finanzhilfen seien im transformativen Bereich zwar erforderlich, müssten allerdings im Rahmen der Schuldenbremse ermöglicht werden. „Wir sollten stärker auf marktwirtschaftlichen Ideenwettbewerb und Erfindergeist setzen“, so der Minister. In der Konsequenz nimmt Lindner eine Deindustrialisierung und den Verlust hunderttausender tarifgebundener und gut bezahlter Arbeitsplätze in Kauf.

Während der DGB angesichts der aktuellen Krisenlage fordert, die Schuldenbremse wieder auszusetzen, erhielt Lindner in der vergangenen Woche Unterstützung durch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Damit ist die Frage geklärt, wem die Schuldenbremse nützt.

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"Wer bremst hier wen?", UZ vom 10. November 2023



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