Greensill-Pleite: Kommunen haben 500 Millionen Euro in den Sand gesetzt

Zwei verdiente Backpfeifen

Sechseinhalb Vollzeitstellen – soviel Personal steht der Bremer Staatsanwaltschaft nach einem Bericht des „Weser Kuriers“ für die Ermittlung in Wirtschaftsstrafsachen zur Verfügung. In den kommenden Jahren wird diese Abteilung einiges zu tun haben. Denn die Bremer Staatsanwälte ermitteln gegen den deutschen Ableger der Greensill-Bank. Dabei geht es um den Vorwurf der Bilanzfälschung. Das Geschäftsmodell der Bank bestand in der Kapitalbeschaffung für den Mutterkonzern, der wiederum in internationale Lieferketten investierte. Die komplexen Geschäftsverbindungen reichen um den ganzen Globus – vom leibhaftigen Mr. Greensill aus Australien über Indien und Japan bis zum ehemaligen britischen Premier David Cameron, der als Berater tätig war. Ganz schön viel Stoff, Macht und Geld für die Ermittlungsarbeit von sechseinhalb Bremer Beamten.

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Vincent Cziesla

Zunächst ist jedoch der Insolvenzverwalter am Zug. Mehr als 50 deutsche Kommunen hatten Anlagen bei der Bank. Die Rede ist von knapp 500 Millionen Euro Steuergeld, die keiner Einlagensicherung unterliegen und daher wahrscheinlich verloren sind. Da die Bank auch große Summen annahm und positive Zinsen zusicherte, erschien sie den Kämmereien lukrativ. Gute Ratings versprachen trügerische Sicherheit. Dass die „Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht“ (BaFin) schon lange ermittelte, wurde geheim gehalten. Getroffen hat es reiche Städte wie die Steueroase Monheim am Rhein (38 Millionen Euro bei Greensill). Aber auch kleinere Gemeinden haben Geld verloren. In Emmerich (6 Millionen Euro) sollte ein Jugendzentrum gebaut werden – die Pläne liegen nun auf Eis. Die Kommunen wollten Negativzinsen vermeiden. Derzeit verlangen öffentliche Banken und Sparkassen grundsätzlich Verwahrentgelte. Die Kosten erreichen schnell den fünfstelligen Bereich – das Steuergeld schmilzt dahin. Der Mangel an sicheren Alternativen treibt die Gemeinden zu den Privatbanken. Im Rahmen der Zinspolitik ist das politisch gewollt: Die Kommunen sollen investieren, im Zweifelsfall eben in den Finanzmarkt.

In Emmerich wird nun der Ruf nach „externer Expertise“ laut. Zwei Umstände sprechen dagegen. Erstens hatten viele der betroffenen Kommunen externe Berater, die ihnen die Greensill-Anlagen wärmstens empfahlen. Noch wichtiger: Finanzberater entspringen den dunkelsten Niederungen der organisierten Verantwortungslosigkeit. Natürlich sind sie nicht schlauer als die festangestellten Betriebswirte in den Kämmereien. Sie lesen die gleichen Analysen und betrachten dieselben Ratings. Der Unterschied: Die großen Beratungsfirmen schicken ausgebildete Berufsschwätzer, die es verstehen, die offensichtlichsten Banalitäten so vorzutragen, als hätten sie soeben die Weltformel entdeckt. Risiken vermeiden können sie nicht. Aber ein sündhaft teures „Risikomanagement“ bieten sie gerne an. Gemanagt wird dabei nur das politische Risiko. Glücklich ist der Kämmerer, der nach dem Skandal sagen kann: „Eine große Beraterfirma hat uns empfohlen, so zu handeln.“ Anstatt der zwei verdienten Backpfeifen (eine für das versenkte Steuergeld und eine für die Beratungskosten) wird er Verständnis und mitleidiges Schulterklopfen ernten.

So kommt am Ende alles zusammen: ein Justizsystem, das jährlich gegen 180.000 Kiffer ermitteln kann, aber nur eine Handvoll Beamte für die Untersuchung schwerster Wirtschaftskriminalität aufbringt; die organisierte Verantwortungslosigkeit vor Ort, wo man lieber schlecht beraten wird als souverän entscheidet; der Mangel an öffentlichen Anlagemöglichkeiten, die der Selbstverwaltung nicht das Wasser abgraben. Die bürgerliche Ideologie versteckt systemische Probleme hinter individuellen Fehlern. Man sieht es beim Klimawandel, in der Corona-Krise und eben auch beim „Greensill-Skandal“, der auf das (zweifellos vorhandene) Fehlverhalten einzelner Kommunalbeamter reduziert wird.

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"Zwei verdiente Backpfeifen", UZ vom 9. April 2021



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