Deutsche Entwicklungspolitik soll afrikanische Migranten fernhalten – und treibt sie auf die Flucht

Abschottung als Chance

Von Jördis Land

Die deutsche Regierung hat ihre Entwicklungspolitik in den letzten Jahren zunehmend der „vernetzten Sicherheit“ untergeordnet. Mit Entwicklungshilfegeldern finanziert die Bundesregierung inzwischen den Aufbau von Militär, Polizei und Grenzeinrichtungen zur Migrationskontrolle. 2014 sprach das Bundesministerium für Zusammenarbeit (BMZ) genau wie ein Positionspapier der Deutschen Industrie- und Handelskammer von 2008 vom „Chancenkontinent Afrika“. Das „vernetzte“ strategische Konzept zur Wahrnehmung der afrikanischen Chancen besteht in erpresserischer Durchsetzung von Freihandelsabkommen im Interesse der europäischen Industriestaaten, politischer „Beratung“ der afrikanischen Staaten mit dem Gewicht des Geldgebers zur Schaffung günstiger Investitionsbedingungen und gleichzeitigem Ausbau der zivil-militärischen Zusammenarbeit, um die Opfer dieser Politik von der Festung Europa fernzuhalten.

Das aktuelle Strategiepapier macht neben der Förderung der Privatwirtschaft die „Bekämpfung von Fluchtursachen“ zum zentralen Thema. Das BMZ erwartet einen weiteren Anstieg des „Migrationsdruckes“ – und es weiß, warum. Wenn es als Erklärung Bevölkerungszunahme und Klimawandel anführt, unterschlägt es, dass es in diesem Jahr maßgeblich an dem Druck beteiligt war, der afrikanische Staaten bis 2017 zur Ratifizierung der für die meisten ungünstigen EPA-Freihandelsabkommen mit der EU bringen soll. 80 Prozent aller EU-Produkte können dann zollfrei die afrikanischen Märkte überschwemmen und Millionen afrikanischen Produzenten die Existenzgrundlage entziehen.

Das BMZ ist damit einer der Verursacher von Migration. Trotzdem erhebt es den Anspruch, über die Schaffung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen Bleibeperspektiven in Afrika zu verbessern. Wie die punktuelle Förderung einiger weniger Ausbildungszentren dies angesichts von jährlich zusätzlichen zehn Millionen junger Menschen auf der Suche nach Arbeit bewirken soll, bleibt ihr Geheimnis. Es geht wohl doch mehr um die Vermittlung deutscher Technologie oder die Einhaltung der für Europa geforderten Standards in Produktionsketten.

In seiner PR-Rhetorik behauptet das BMZ, dass die gesamte Bandbreite der entwicklungspolitischen Maßnahmen die Bleibeperspektiven möglicher Migranten in Afrika verbessere. Um Flüchtlinge von Europa fernzuhalten, verlässt es sich aber auf handfestere Maßnahmen. Das Outsourcen von militärischer Gewaltanwendung unter Beibehaltung der eigenen Kontrolle stellten „Verteidigungs“ministerin Ursula von der Leyen und Generalinspekteur der Bundeswehr Volker Wieker im Dezember 2015 als „Ertüchtigungsinitiative“ vor. Danach sollen regionale Akteure in die Lage versetzt werden, für Sicherheit und Stabilität in ihrer Nachbarschaft zu sorgen. „Ertüchtigt“ werden sie durch Ausbildung zivilen und militärischen Personals und durch Bereitstellung von Ausrüstung bis zu Waffen und Munition.

Das BMZ ist ein entscheidender Partner der „Ertüchtigung“. Es unterstützt mit der „Afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur“ der Afrikanischen Union (AU) vorgeblich Krisenbewältigung in „afrikanischer Verantwortung“. In ihren Statuten wurde anlässlich der humanitären Katastrophe in Ruanda „das Recht einer militärischen Intervention aus humanitären Gründen” auch gegen den Willen einer Regierung verankert. Neben Einrichtungen zur zivilen Konfliktlösung verfügt sie deshalb über „Afrikanische Eingreiftruppen“ und hat bisher mehr als 60 000 Personen in Friedensmissionen entsandt. Allerdings waren dies keineswegs nur die vielbeschworenen „afrikanischen Lösungen“. EU-Gelder mit 20-prozentiger Beteiligung der BRD trugen maßgeblich zum Aufbau der AU und ihrer Sicherheitsstrukturen bei. Bis 2015 erfolgte ihre Finanzierung und damit auch Ausrichtung noch zu 95 Prozent über internationale Geber.

Deutsche Entwicklungshilfegelder fördern zum Beispiel das „Kofi Annan International Peacekeeping Training Center“, in dem afrikanische Militärs auf ihre Einsätze trainiert werden. Schon seit 2008 leitet die „Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit“ (GIZ) das Projekt „Polizeiprogramm Afrika“ zum Aufbau von Polizei, Grenzeinrichtungen und Immigrationsbehörden und liefert Fahrzeuge oder Pass- und Fingerabdruckscanner.

Im November 2015 forderten die EU-Staaten auf einem Treffen mit afrikanischen Regierungen in Valetta (Malta) Maßnahmen zur Eindämmung von Flucht und Migration aus Afrika und zur Wiederaufnahme für Personen ohne „Bleibeperspektive“ in ihren Herkunftsländern. Das bedeutet für die ökonomisch schwachen afrikanischen Staaten, dass sie den Großteil der Migrantenströme verkraften müssen und mit dem Rückgang von Auslandsüberweisungen einen oft beträchtlichen Teil an Einkünften verlieren. Für ihre Kooperation wurde Entwicklungshilfe aus einem „EU-Trust Fund zur Fluchtursachenbekämpfung“ versprochen. Diese 1,8 Milliarden Euro werden aus anderen Bereichen der langfristigen Entwicklungshilfe abgezogen und an den Abschluss von Rückübernahmeabkommen geknüpft. Sie sollen über punktuelle zivile Maßnahmen in 23 Ländern vorgeblich Bleibeperspektiven, Reintegration oder für ausgesuchte Jugendliche legale Migration ermöglichen, fließen aber zu rund 70 Prozent in die Bekämpfung „irregulärer Migration“ und in Rückführungsmaßnahmen.

Im Teilprojekt „Better Migration Management“ steuerte das BMZ 6 Mio. Euro zur „Identifizierung und dem Schutz (!) von Menschen in Not“ bei. Ausbildung und Ausrüstung zur Erfassung von Flüchtlingen und Migranten oder Beihilfe für den Aufbau von Lagern bekommen auch Länder wie Äthiopien oder Eritrea, welche Opposition gewaltsam unterdrücken und Fluchtgründe damit erst verursachen. In „Mi­grationspartnerschaften“, welche die EU aktuell „unter Einsatz aller einschlägigen – auch entwicklungs- und handelspolitischen – Maßnahmen, Instrumente und Hilfsmittel der EU“ (Generalsekretariat des EU-Rates vom 10.10.2016) durchsetzen will, sollen sie damit Migranten und Flüchtlinge schon in der Wüste festhalten, bevor sie das Mittelmeer überhaupt erreichen. Menschenverachtender kann Entwicklungspolitik nicht sein.

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"Abschottung als Chance", UZ vom 13. Januar 2017



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