Sargnagel für das gesetzliche umlagefinanzierte Altersruhegeld

Ampel will kapitalgedeckte Renten

SPD, Grüne und FDP haben ihre Pläne zur zukünftigen Rentenpolitik der Regierung angekündigt. Darüber sprachen wir mit Reiner Heyse. Reiner Heyse ist IG-Metaller, langjähriger Betriebsrat und Mitinitiator der Initiativen „Seniorenaufstand“ und „RentenZukunft“.

UZ: Den 21 Millionen Rentnern in der Bundesrepublik werden zurzeit hohe Rentensteigerungen in Aussicht gestellt: Für 2022 sollen sie 5,2 Prozent im Westen und im Osten um 5,9 Prozent betragen, für 2023 Erhöhungen von 4,9 Prozent im Westen und 5,7 Prozent im Osten. Wie berechnen sich diese Werte? Und kommen mit solchen Steigerungen nun ausgerechnet die Rentner in unserem Land an die Sonne?

Reiner Heyse: Um im Bild zu bleiben: Wer zehn Treppenstufen in den Rentenkeller gegangen ist und dann zwei Stufen wieder hochkommt, befindet sich immer noch im Keller. Von der Rentensonne bekommen die Rentnerinnen und Rentner damit noch nicht viel zu sehen.

Aber im Ernst: Die erwarteten Erhöhungen von 5,2 Prozent und 4,9 Prozent werden ja eingerahmt von zwei Nullrunden in den Jahren 2021 und 2024 – ich beziehe mich, um es zu vereinfachen, immer auf die West-Werte. Im Vierjahresdurchschnitt sind das also 2,5 Prozent im Jahr. Bei einer Inflation, die sich gegenwärtig bei 4 Prozent bewegt, bleibt da über die vier Jahre gesehen wahrscheinlich nichts oder ein Minus übrig.

Die absurd erscheinenden Berg-und-Tal-Entwicklungen der Rentenwerte sind das Ergebnis der 2001 und 2004 per Gesetz in die Welt gesetzten Rentenformel. Die zu verstehen überfordert nicht nur die Millionen jetzigen und zukünftigen Rentnerinnen und Rentner. Für die allermeisten Politiker und auch für manchen Wirtschafts„weisen“ ist die Formel ein Buch mit sieben Siegeln und vielen Überraschungen.

UZ: Die Ampel-Parteien versprechen, das Mindestrentenniveau von 48 Prozent zu sichern. Auch die Aussage, es werde keine Rentenkürzungen und keine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters geben, hört sich beruhigend an. Wo liegen die Fallstricke?

Reiner Heyse: Die Fallstricke liegen einerseits in der Verlogenheit und zum anderen in billigen Placebos.

Verwirrend ist die gebräuchliche Verwendung des Begriffs Rentenniveau. Das wird immer angegeben als Rentenniveau vor Steuerabzug. Wenn ich das Netto-Rentenniveau vor Steuern unverändert lasse, aber den darauf fälligen Steuerabzug Jahr für Jahr erhöhe, senke ich real das tatsächlich verfügbare Rentenniveau. Selbst wenn das Netto-Rentenniveau vor Steuern bis 2040 konstant bei 48 Prozent gehalten wird, sinkt das tatsächlich verfügbare Nettoniveau um acht Prozent. Da zu suggerieren, man stabilisiere das Rentenniveau, halte ich für verlogen.

Die beiden Renten-Placebos entfalten ihre Nicht-Wirkung so: Seit 2009 verhindert eine Schutzklausel nominelle Rentenkürzungen. Das Versprechen, keine Rentenkürzungen vorzunehmen, entspricht also den gültigen Gesetzen, nicht mehr und nicht weniger. Für mich ein kostenloses Placebo.

Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters findet statt, daran halten SPD, Grüne und FDP fest. Bis 2031 steigt es von gegenwärtig 65 Jahren und zehn Monaten auf 67 Jahre. Ansonsten folgt das Versprechen des Sondierungspapiers den Empfehlungen der Rentenkommission aus dem letzten Jahr. Über eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters solle erst nach 2025 entschieden werden.

UZ: Die zukünftigen Regierungsparteien wollen so schnell wie möglich in eine teilweise kapitalgedeckte Rentenfinanzierung einsteigen. Im Sondierungspapier der drei Koalitionsparteien verlautbaren sie, sie wollen „zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz in eine teilweise Kapitaldeckung der Gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen“. Welche Gefahren siehst du darin?

Reiner Heyse: Ehrlich gesagt macht mich das zustimmende Kommentieren der Hauptmedien und das passive Verhalten der Gewerkschaften und Sozialverbände zu dieser Ankündigung ein Stück fassungslos. Es handelt sich um einen weiteren Sargnagel für die gesetzliche umlagefinanzierte Rente.

Was würde denn die nächsten Jahre passieren? Die geburtenstarken Jahrgänge, die Babyboomer, gehen zwischen 2023 und 2034 in Rente. Der Altersversorgungsaufwand aus der gesetzlichen Rente würde sich bei schlechter Prognose bis zum Jahr 2040 um 21 Prozent oder nach heutigen Werten um 70 Milliarden Euro erhöhen. Zweifellos wäre das eine Mehrbelastung. Die ist zwar längst nicht so dramatisch wie von den neoliberalen Renten„experten“ behauptet, aber auf jeden Fall eine Mehrbelastung.

Und zusätzlich zu dieser Mehrbelastung sollen noch Unsummen in Kapitalmärkte gepumpt werden. Die an Aktienmärkten angelegten Spargelder sind langfristig gebunden. Nicht ein Cent wird zur Bewältigung der Mehrbelastung in den kommenden 20 Jahren beitragen.

Daraus einen Weg zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz zu machen, ist hirnrissig und dreist. Ein Versuch zur Volksverdummung. Das Einzige, was stabilisiert wird, sind die Interessen der Finanzkonzerne, die mit den angelegten Geldern Jahr für Jahr ihre Profite steigern werden.

Gefährlich ist das Unterfangen auch aus volkswirtschaftlicher Sicht. Hunderte Milliarden Euro werden in den kommenden Jahren dem Konsum entzogen. Riesige Summen, die aus dem Wirtschaftskreislauf rausgeleitet werden und die Börsenkurse weiter aufblasen. Das sind Brandbeschleuniger für zukünftige Krisen.

UZ: Im Sondierungspapier heißt es dann noch weiter: „Wir werden der Deutschen Rentenversicherung auch ermöglichen, ihre Reserven am Kapitalmarkt reguliert anzulegen.“ Wer würde von diesen Plänen profitieren?

Reiner Heyse: Wie schon erwähnt, die einzigen Profiteure wären die Finanzkonzerne. Die Rentenversicherung hat die Reserven ja gerade, um konjunkturelle Schwankungen oder kurzfristige Krisenereignisse auszugleichen. Da verbieten sich längerfristige Anlagen oder kurzfristige Spekulationen an Aktienmärkten.

UZ: In wichtigen Bereichen der Daseinsfürsorge ist die Unterordnung unter „Marktmechanismen“ in die berechtigte Kritik gerade der Gewerkschaften geraten. So wird beispielsweise in der Gesundheitsversorgung die Überführung privatisierter Krankenhäuser zurück ins öffentliche Eigentum gefordert, in vielen Städten geht es in unterschiedlichen Bereichen um Rekommunalisierung von Eigentum oder Dienstleistungen. Wie müssten aus deiner Sicht die Gewerkschaften auf diese Rentenpläne reagieren?

Reiner Heyse: Zunächst müsste überhaupt erkannt werden, dass die solidarische Rentenversicherung seit Anfang der 2000er-Jahre in Richtung Privatisierung geändert wurde – Stichwort Riesterrente und Altersvermögensgesetz – und dass die Entwicklung mit den Aktienrenten verstärkt weitergeführt werden soll.

Die von dir angesprochenen Bereiche der Daseinsfürsorge sind ja im Wesentlichen durch Kämpfe der Beschäftigten und/oder durch gesellschaftliche Bewegungen von unten in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gekommen. Dass dabei Gewerkschaften eine tragende oder unterstützende Rolle spielen, ist für mich selbstverständlich.

In Sachen Rente sieht es noch nicht so ermutigend aus. Bis auf wenige, meist regionale Initiativen gibt es viel zu wenig Widerstand gegen die systematische Altersverarmung und Zerstörung der umlagefinanzierten Rente. Von den Gewerkschaften gibt es nicht nur wenig Gegenwehr, an einigen Stellen werden die Verschlechterungen sogar kooperativ flankiert. Wenn ich an dieser Stelle Gewerkschaften sage, meine ich im Wesentlichen die Gewerkschaftsvorstände – in vielen örtlichen oder regionalen Gliederungen gibt es klare Positionierungen gegen die Angriffe auf die gesetzliche Rente und für nachhaltige Reformen. Das schlägt sich teilweise auch in Beschlüssen der Gewerkschaftstage nieder, aber eben leider nicht in der Politik und den notwendigen Mobilisierungsmaßnahmen der Vorstände

UZ: Was sind die künftigen Pläne des Seniorenaufstandes?

Reiner Heyse: Aus dem bisher Gesagten sollte deutlich hervorgehen, dass die Hauptopfer der Rentenpolitik die jüngeren Generationen sind. Sie sollen gemolken werden und ihnen droht Altersarmut in noch viel höherem Ausmaß als den heute Alten. Bereits jetzt leben mehr als 20 Prozent der Rentnerinnen und Rentner in Armut – ein riesiger gesellschaftlicher Skandal. Der Anteil der Altersarmen wird bei Fortsetzung der Rentenpolitik auf über 50 Prozent steigen.

Wenn die Jüngeren das nicht erkennen und in Bewegung kommen, werden wir keine Chance haben auf eine Umkehr der zerstörerischen neoliberalen Rentenpolitik.

Wir haben den „Seniorenaufstand“ folgerichtig in die Initiative „RentenZukunft“ umbenannt, weil wir junge Menschen zum Mitkämpfen ermutigen wollen.
Wir verfolgen dabei nach wie vor die zentralen Reformforderungen:

  • Auskömmliche Renten, die mindestens 75 Prozent der im Arbeitsleben erzielten Nettoeinkommen betragen.
  • Armutsvermeidende Mindestrenten, die über der Armutsgefährdungsschwelle liegen – gegenwärtig sind das 1.200 Euro netto.
  • Eine Rentenversicherung, in die ohne Ausnahmen alle Erwerbstätigen nach gleichen Regeln einzahlen und Renten beziehen (Erwerbstätigenversicherung).

Weitere Informationen unter seniorenaufstand.de und renten-zukunft.de

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"Ampel will kapitalgedeckte Renten", UZ vom 12. November 2021



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