AfD setzt auf eine reaktionäre Wende

Angst vor der Zukunft führt in die Vergangenheit

Von Nina Hager

Zirka 12,6 Millionen Wahlberechtigte waren am vergangenen Sonntag zur Stimmabgabe aufgerufen. 8,7 Millionen gingen zu den Wahlurnen. Die CDU und vor allem die SPD – bis auf Rheinland-Pfalz – verloren Stimmen. In Sachsen-Anhalt rutschte die SPD von 21,5 Prozent der Stimmen (2011) auf 10,6, in Baden-Württemberg von 23,1 Prozent auf 12,7. Die FDP kam in Sachsen-Anhalt nicht in den Landtag. Die Partei „Die Linke“ scheiterte in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz an der Fünf-Prozent-Hürde. In Sachsen-Anhalt wählten nur 16,3 Prozent die Partei – nach den 23,7 Prozent im Jahr 2011 ist das ein politisches Desaster.

Die AfD, die viele mobilisieren konnte, die bislang zum „Nichtwählerlager“ gehört hatten, aber auch frustrierte bisherige Wählerinnen und Wähler anderer Parteien anzog, konnte in alle drei Landtage einziehen und wurde in Sachsen-Anhalt sogar zweitstärkste Partei.

Überdurchschnittlich stark schnitt die Rechtsaußenpartei bei diesen Wahlen bei männlichen und unter 45-jährigen Wählern, unter Haupt- und Realschülern, unter Arbeitern und Arbeitslosen ab. Laut dem Forschungsinstitut Infratest Dimap erklärten aber nur 21 Prozent der AfD-Wähler, sie hätten die Partei aus Überzeugung gewählt, 70 Prozent dagegen, sie hätten aus „Enttäuschung von anderen Parteien“ gehandelt.

Viele Menschen haben Angst vor der Zukunft, vor sozialem Abstieg. Sie trauen den etablierten Parteien nicht mehr. Die AfD profitierte vor allem aber – wie bei den Landtagswahlen im Herbst 2015 – von der zugespitzten Debatte um Zuwanderung und Flucht, den Auseinandersetzungen in der Regierungskoalition und dem Kurs der Merkel-Regierung, die in der Flüchtlingsfrage Schritt für Schritt von den Aussagen des Sommers 2015 abging.

Das alles nutzte den rechten Populisten, die mit ihrer aggressiven und rassistischen Haltung in der Flüchtlingsfrage Ängste und Abwehrhaltungen vieler Menschen im Land bedienen und scheinbare Lösungen anbieten. Dass die AfD zugleich aber Positionen gegen den Mindestlohn bezieht und ihn wieder abschaffen wird, dass sie an die Stelle von Hartz IV eine „Bürgerarbeit“ einführen will, für die Niedrigstlöhne gezahlt werden sollen, dürfte den meisten ihrer Wählerinnen und Wähler unbekannt sein. Auch, dass sie eine reaktionäre Familienpolitik durchsetzen und die Frauen wieder an den Herd schicken, Steuererleichterungen für abhängig Beschäftigte streichen will usw. ist kaum bekannt. Die AfD in Sachsen-Anhalt will zudem auch in den Schulunterricht eingreifen, preußische Disziplin durchsetzen und die „Lehrpläne überarbeiten“. Im Schulunterricht soll weniger über die Nazi-Zeit geredet werden: „Eine einseitige Konzentration auf zwölf Unglücksjahre unserer Geschichte verstellt den Blick auf Jahrhunderte, in denen eine einzigartige Substanz an Kultur und staatlicher Ordnung aufgebaut wurde.“ (Wahlprogramm, Sachsen-Anhalt, S.1).

Mittlerweile ist die AfD in acht der 16 Landesparlamente vertreten und sieht sich schon als „Volkspartei“ mit klarem Auftrag, die Gesellschaft zu verändern. Bayerns AfD-Landesvorsitzender Petr Bystron erklärte am Montag, die Ergebnisse der Landtagswahlen vom Wochenende seien „wirklich eine Revolution“ („Frankfurter Allgemeine“ vom 15. März). „Gestern ist ein Paradigmenwechsel eingetreten, es ist das Ende der Herrschaft der Alt-Achtundsechziger in Deutschland. Das werden die Leute erst noch begreifen“, sagt er. Die AfD will, so der Spitzenkandidat der Partei in Sachsen-Anhalt, Poggendorf, die Bundesrepublik verändern – „… zum Wohle des deutschen Volkes“.

Die Uhren sollen zurückgestellt werden. Die AfD setzt auf eine reaktionäre Wende – und übt Druck aus auf CDU und CSU, deren rechteste Vertreter rechts neben sich keine relevante politische Kraft zulassen wollen, und die zu Verunsicherung vieler im Land und zur Stimmung gegen jene beitrugen, die hierher geflohen sind, und nun nach dem Wahltag – wie CSU-Chef Seehofer – meinen, nur Merkels Flüchtlingspolitik hätte der AfD so viele Stimmen gebracht ….

Deutschland ist mit dieser Wahl weiter nach Rechts gerückt.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Angst vor der Zukunft führt in die Vergangenheit", UZ vom 18. März 2016



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