Im Mai 1889 streikten 150000 Steinkohlenbergarbeiter

Aufstieg der Arbeiterbewegung

Von Nina Hager

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( Quelle: Stadtarchiv Gladbeck)

Zeitgenössische Zeichnung des Bergarbeiterstreiks 1889 auf der Zeche Moltke in Gladbeck. Nach Auseinandersetzungen für mehr Lohn, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Sicherheit unter Tage in den Jahren 1883 und 1884 begann ein Streik am 7. Mai 1889. Rund 1000 Bergleute streikten für bessere Arbeitsbedingungen, die Behörden forderten das Militär an, um „Ruhe und Ordnung wiederherzustellen“. Und das feuerte in die streikende Menge – drei Tote und fünf verletzte Kumpel war die blutige Bilanz.

Ab 1888 kam es auch im deutschen Reich trotz Verfolgungen und Unterdrückung – das „Sozialistengesetz“, das heißt das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ galt seit 1878 und war im Laufe von zehn Jahren mehrfach verlängert und verschärft worden – zunehmend zu Streikaktionen von Arbeitern für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen. Seinen Höhepunkt erreichte die Streikwelle im Mai 1889 mit dem gesamtdeutschen Streik von 150000 Steinkohlenbergarbeitern. (Vgl. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 1, Berlin 1966, S. 409)

Dieser Streik der Steinkohlebergarbeiter wurde zum bis dahin größten und bedeutendsten Streik in der deutschen Geschichte. Vor allem die Ruhrbergarbeiter streikten. Der Ausstand begann am 24. April in Bochum (Zeche Präsident). Dem schlossen sich – wie zunächst am 1. Mai in Essen – bald zahlreiche weitere Belegschaften an. Zeitweise beteiligten sich im Revier etwa 90 Prozent der damals 104 000 Bergarbeiter an den Aktionen. Sie kämpften um Lohnerhöhung, um den Achtstundentag, um die Beseitigung der Überstundenschichten und für die Zulassung von Arbeiterausschüssen. Ein zentrales Streikkomitee wurde gebildet. Friedrich Engels schrieb in seinem Artikel „Der Bergarbeiterstreik an der Ruhr 1889“ Ende Mai 1889: „Diese Bergarbeiter – bis jetzt gute Untertanen, patriotisch, gehorsam und religiös, die die besten Soldaten für die Infanterie des 7. Armeekorps stellten (ich kenne sie gut, mein Geburtsort liegt nur 6 oder 7 Meilen südlich von diesen Kohlenfeldern) – sind nun durch die kapitalistische Unterdrückung vollkommen aufgerüttelt worden.“ Und er beschrieb die Lage der Arbeiter, die sie in den Ausstand getrieben hatte: „Während die Zechen – meistens im Besitz großer Aktiengesellschaften – enorme Dividenden auszahlten, wurden die Reallöhne der Arbeiter ständig weiter herabgedrückt. Der nominelle wöchentliche Lohn wurde zwar aufrechterhalten, in einigen Fällen sogar scheinbar erhöht, indem man die Arbeiter zwang, erhebliche Überzeit zu arbeiten –, statt einer Achtstundenschicht arbeiteten sie 12 bis 16 Stunden, so dass wöchentlich 9 bis 12 Schichten herauskamen …“ (MEW, Bd. 21, S. 376)

Im Ruhrgebiet hatte die deutsche Sozialdemokratie bis zu diesem Zeitpunkt keinen größeren Einfluss auf die Bergarbeiter. Das veränderte sich nun aufgrund der Erfahrungen, die die Bergarbeiter in ihrem Kampf machten. Mit allen Mitteln versuchten Kohlebarone – die Zechen waren mehrheitlich, wie Friedrich Engels schrieb, in der Hand von Aktiengesellschaften – und Staat gegen die Streikenden vorzugehen, den Streik mit Demagogie und Gewalt, später aber teilweise auch Versprechungen abzuwürgen. Die Unternehmer ließen Streikbrecher durch Polizei oder Militär schützen. Auf der Zeche Schleswig in Dortmund schoss Militär auf die Streikenden. Sieben Arbeiter starben, mehrere wurden verwundet. Unter den Getöteten war eine Mutter mit ihrem Kind.

Als am 14. Mai 1889 eine dreiköpfige Delegation der Ruhrbergarbeiter – noch befangen in Illusionen – dem Kaiser die Forderungen der Streikenden vortragen wollte, erklärte dieser, er werde, falls sich ein Zusammenhang zwischen der Sozialdemokratie und den Streikenden herausstellen sollte, „alles über den Haufen schießen lassen“. Für ihn sei „jeder Sozialdemokrat gleichbedeutend mit Reichs- und Vaterlandsfeind“ (Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, S. 410). Der „Sozialdemokrat“, der damals in London erschien, berichtete regelmäßig über die gewaltige Streikbewegung. In einem Artikel vom 25. Mai 1889 wurde festgestellt: „Hier ist nichts Gemachtes, hier sind keine Figuren, die von politischen ‚Drahtziehern’ oder ‚Aufwieglern’ am Schnürchen gelenkt werden, keine Opfer von ‚Umstürzlern’ und Wühlern – hier zeigt sich … als granitne, nicht wegzuleugnende Tatsache … der moderne Klassenkampf …“ (Ebenda, S. 634/635)

Weder Demagogie noch Militär vermochten die Widerstandskraft der Arbeiter zu brechen. Anfang Juni 1889 musste der Streik abgebrochen werden. Die Arbeiter hatten die Mehrheit ihrer Ziele nicht erreicht, aber die politische Wirkung war außerordentlich tiefgreifend. Friedrich Engels verwies auf die Kraft der Solidarität, die die Arbeiter während ihres Kampfes kennengelernt hatten, sowie auf die gewonnenen Erfahrungen. Und noch etwas war wichtig: „Ihr Glauben an den Kaiser und an den Pfarrer ist erschüttert worden, und was auch die Regierung unternehmen mag, keine Regierung kann ihre Wünsche befriedigen, ohne das kapitalistische System zu stürzen – und das kann die deutsche Regierung nicht, noch wird sie es versuchen wollen. Es ist das erste Mal, dass die Regierung vorgegeben hat, eine unparteiische Stellung während eines Streiks in Deutschland einzunehmen. Damit ist nunmehr ihre jungfräuliche Unschuld in dieser Hinsicht für immer dahin und beide, Wilhelm und Bismarck, mussten sich vor den geschlossenen Reihen der 100000 streikenden Arbeiter beugen. Das allein ist ein wunderbares Resultat.“ (MEW, Bd. 21, S. 378)

Der „Sozialdemokrat“ hatte in seinem Beitrag vom 25. Mai 1889 die Stellung der deutschen Sozialdemokratie zu den kämpfenden Bergarbeitern wie folgt beschrieben: „Die Sozialdemokratie … kennt keine andern Interessen als die der Arbeiter.“ (Ebenda, S. 636) Die Arbeiter hatten sich während des Streiks davon überzeugt, wer auf ihrer Seite stand. Sozialdemokraten waren – wo sie konnten – aktiv geworden, hatten sich teilweise sogar an die Spitze der Aktionen gestellt. Bei Reichstagswahlen im Februar 1890 erhielt die Sozialdemokratie im Wahlkreis Dortmund-Hörde mehr als 17000 Stimmen, eine Steigerung um das Achtfache. Der Streik gab vor allem auch den Anstoß für die Herausbildung einer sozialdemokratisch beeinflussten Bergarbeitergewerkschaft. Am 18. August 1889 entstand eine Bergarbeiterorganisation im Ruhrgebiet. Ein Jahr später wurde der erste deutsche Bergarbeiterverband gegründet.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Aufstieg der Arbeiterbewegung", UZ vom 21. Dezember 2018



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