Zu weiteren Einbußen für Kurzarbeiter

Böses Erwachen

Beschäftigte, die Corona-bedingt in Kurzarbeit sind oder waren, müssen zusätzlich zu niedrigeren Einkommen auch mit Steuernachzahlungen rechnen. Von dieser Situation sind knapp sechs Millionen Kolleginnen und Kollegen betroffen. Dies sind etwa 20 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse.

Die Ursache für diese drohenden Steuernachzahlungen ist der Umstand, dass das Kurzarbeitergeld selbst zwar steuerfrei ist, aber dem Progressionsvorbehalt unterliegt. Das bedeutet, dass bei der Berechnung des Prozentsatzes, mit dem das übrige Einkommen besteuert wird, das erhaltene Kurzarbeitergeld mit einbezogen wird. Ein höherer Steuersatz beim übrigen Einkommen ist die Folge. Diese finanziellen Mehrbelastungen spüren insbesondere Beschäftigte mit ohnehin schon niedrigem Einkommen. Das gilt zum Beispiel für viele Kolleginnen und Kollegen, die in der Gastronomie arbeiten. Aber auch andere Branchen sind betroffen, vor allem dann, wenn die Beschäftigten dort keine Aufstockung des Kurzarbeitergelds durch das Unternehmen erhalten.

Um die Situation für die Betroffenen zu verbessern, fordert der DGB den Gesetzgeber dazu auf, im Jahressteuergesetz zeitlich befristete Änderungen vorzunehmen. Der Gewerkschaftsdachverband sieht hier verschiedene Handlungsoptionen. Sie reichen von der vollständigen Aussetzung des Progressionsvorbehaltes bis zu einer gezielt auf das Kurzarbeitergeld gerichteten Aussetzung. Auch die befristete Einführung eines auf den Progressionsvorbehalt bezogenen Freibetrages, wie ihn auch kürzlich der Bundesrat diskutiert hat, könnte für eine deutliche Verbesserung für die Betroffenen sorgen.

Aber nicht nur durch mögliche Steuernachzahlungen drohen Kolleginnen und Kollegen in der Kurzarbeit finanzielle Einbußen. Wie aus einer Mitteilung der Arbeitsagentur hervorgeht, werden einmalige Sonderzahlungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld bei der Berechnung des Kurzarbeitergeldes nicht berücksichtigt. Eigentlich berechnet sich die Höhe des Kurzarbeitergeldes aus der Differenz zwischen dem Soll-Entgelt im Arbeitsvertrag und dem tatsächlichen Ist-Entgelt in der Kurzarbeit. Dadurch, dass die oben genannten Einmalzahlungen beim Soll-Entgelt nicht berücksichtigt werden, fällt die Höhe des Kurzarbeitergeldes entsprechend niedriger aus.

Dies ist kein Plädoyer gegen Kurzarbeit. Kurzarbeit kann ein sinnvolles arbeitsmarktpolitisches Instrument in der Krise sein, um Kolleginnen und Kollegen vor Jobverlust und Arbeitslosigkeit zu schützen. Dies ist aber eine Kritik an der konkreten Ausgestaltung und an einer Politik, die das Ziel verfolgt, die Kosten der Krise auf die Lohnabhängigen abzuwälzen. Drohende Steuernachzahlungen und Nichteinbeziehung von Weihnachts- oder Urlaubsgeld bei der Berechnung der Höhe des Kurzarbeitergeldes sind nur zwei Beispiele für diese „Krisenstrategie“.

Wessen Interessen hier vertreten werden, wird schon bei der Anmeldung von Kurzarbeit deutlich. Denn die Unternehmer bekommen 100 Prozent ihrer Sozialversicherungsbeiträge von der Agentur erstattet, während die betroffenen Kolleginnen und Kollegen in der Regel nur 60 Prozent ihres Gehalts erhalten.

Auch die inzwischen vorgenommenen Erhöhungen nach vier Monaten auf 70 beziehungsweise 77 Prozent des ausgefallenen Nettoentgelts und 80 beziehungsweise 87 Prozent ab dem siebten Bezugsmonat sind sicher nicht der Einsicht der Regierenden oder deren „Sympathie für die Arbeiterklasse“ geschuldet. Sie sind das Ergebnis von gewerkschaftlichem und gesellschaftlichem Druck.

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"Böses Erwachen", UZ vom 20. November 2020



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