Priorisierung nach den Vorgaben des Kapitals

Der Wiederanlauf der Wirtschaft

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ lautet die Devise der Bundesregierung. Seit dem 15. April kennen wir ihre Vorschläge für die schrittweise Lockerung der Bewegungseinschränkungen. Wer wissen will, wer diese erfunden hat, sollte bei Roland Berger und McKinsey, zwei der bekanntesten Unternehmensberatungen, nachschauen. Am 1. April veröffentlichte das Managerblatt „WirtschaftsWoche“ einen Dreistufenplan, den die Bundesregierung fast eins zu eins abgesegnet hat.

„Zeitnah, aber nicht verfrüht soll die Wirtschaft Stück für Stück wieder hochgefahren werden! Der erste Schritt der Exit-Strategie muss stattfinden, wenn die Krise noch im vollen Gange ist. Während die Bürger sich strikt an den Lockdown halten und Kontakte vermeiden, müssen Vorkehrungen getroffen werden … zum Beispiel die Beschaffung von Atemmasken und Desinfektionsmitteln. Als zweite Phase sehen Berger/McKinsey „das sichere Hochfahren“ vor. Das heißt: Die Wirtschaft soll nicht von jetzt auf gleich wieder auf Normalbetrieb getrimmt werden, sondern nach Priorisierung. Der Freizeitbereich soll als Letztes reaktiviert werden.“ Dort auch der Rat: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“

Die Automobilindustrie ist die industrielle Schlüsselbranche. Sie nutzte die Corona-Krise als erste, um die Produktion herunterzufahren und die Arbeitenden in Kurzarbeit zu schicken. Im Dominoeffekt folgten die Zulieferbetriebe. In vielen anderen Bereichen der Industrie wurde allerdings mehr oder weniger normal weitergearbeitet. Doch jetzt wollen VW und Audi ab 27. April die Produktion wieder hochfahren. „In China ist die Corona überwunden und die Menschen dort wollen schon wieder erstaunlich viele Autos kaufen“, erklärt VW-China-Chef Stephan Wöllenstein.

Der schnelle Wiederanlauf sei notwendig, weil die „Coronavirus-Krise die Autonachfrage weltweit einbrechen ließ“, wie es auf der Schweizer Internetplattform „Finanzen.ch“ heißt. Auch der Autoprofessor Ferdinand Dudenhöfer will uns weismachen, dass die „Corona-Krise die Autoindustrie am meisten beutelte“. Deshalb dürfen die Kfz-Händler als eine der ersten ihre Geschäfte wieder aufmachen, denn „diese haben riesige Bestände an Neuwagen, die jetzt abgebaut werden müssen, damit die neu produzierten Autos abgenommen werden können, die VW nach dem Wiederanlauf produzieren will“, so Dudenhöfers Professorenkollege Stefan Bratzel vom „Auto-Institut“. Die Krise in der Autoindustrie hat aber mit dem Coronavirus wenig zu tun. Die Autoindustrie steckt vielmehr seit Monaten in einer schweren Absatz- und Strukturkrise. Sich einen befristeten Stopp aus der Kurzarbeiterkasse finanzieren zu lassen, war aus Sicht des Kapitals ein Geniestreich.

Die Hoffnung der Automanager auf schnelle Abverkäufe könnte aber täuschen. Die Konsumenten haben nämlich in den letzten Wochen die Auswirkungen einer Krise im Kapitalismus hautnah kennengelernt. Kurzarbeitergeld, drohende Arbeitslosigkeit und Tarifabschlüsse mit einer Null. Da werden sich viele sagen, die alte Karre kann ein Jahr länger laufen. Daran werden auch Goodies wenig ändern, wie sie Bratzel verspricht: „Kurzfristig wird es deshalb Rabattaktionen geben.“ Also soll der Staat ran. „Ein Weg wäre, die Prämie von 6.000 Euro beim Kauf eines Elektroautos befristet aufzustocken oder gar Anreize für den Kauf modernster Benziner und Diesel zu setzen“, fordert der Wirtschaftsminister des Autolandes Niedersachsen, Bernd Althusmann (CDU).

Das ist staatsmonopolistischer Kapitalismus pur, aber er wird die Überkapazitäten auf dem Automarkt nicht beheben. Auch aus Gründen des Klima- und Ressourcenschutzes kann ein weiteres Wachsen in der Automobilproduktion kein erstrebenswertes Ziel sein.

Erforderlich wäre im Wiederanlauf etwas ganz anderes: Eine gesellschaftliche Planung, was an Produkten gebraucht wird und wer sie produzieren soll. Wenn ohnehin nicht mehr so viele Menschen zur Produktion von Autos und anderen Gütern benötigt werden, dann kann und muss die Verteilung der Arbeit neu geregelt werden durch Verkürzung der Wochen-, Jahres- und Lebensarbeitszeit bei vollem Einkommensausgleich. Wie und in welche Richtung eine solche „Transformation“ geht, muss von der Arbeiterklasse und ihren Gewerkschaften bestimmt werden und nicht von VW, Daimler, Roland Berger oder McKinsey.

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"Der Wiederanlauf der Wirtschaft", UZ vom 24. April 2020



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