Zum 1. Mai 2022

DGB vor großen ­Herausforderungen

Ortwin Bickhove-Swiderski

Erfreulich war, dass in diesem Jahr der DGB zum ersten Mal nach über zwei Jahren wieder bundesweit öffentliche 1.-Mai-Veranstaltungen durchgeführt hat. Der DGB und seine Einzelgewerkschaften waren somit wieder deutlich sichtbar auf den Straßen und den Plätzen.

Wie geht es nach dem 1. Mai weiter? Vielfältige Aufgaben und Ausei­nandersetzungen liegen vor dem DGB und seinen Einzelgewerkschaften. Zurzeit laufen bundesweit die Betriebsratswahlen. In über 28.000 Betrieben werden über 180.000 Betriebsräte gewählt. Nach einer DGB-Auswertung wird jede sechste Erstwahl eines Betriebsrats mit illegalen Mitteln verhindert. Aus unserer Sicht müsste der Staatsanwalt gegen die Firmen juristisch vorgehen.

Die Tarifverhandlungen werden sich in diesem Jahr sehr sehr kritisch gestalten. Wir haben zurzeit eine Inflationsrate von 7,2 Prozent. Bis zum Ende des Jahres 2022 wird sie weiter ansteigen. Um die Inflationsrate auszugleichen, müssten wir in den jeweiligen Branchen und Bereichen zweistellige Prozentforderungen aufstellen. Machen wir uns da vielleicht lächerlich – und wie setzen wir solche Forderungen durch? 30 Prozent des Lohnes werden jetzt schon für Mieten aufgebracht. Wie sich die Energiekosten bis zum Ende des Jahres 2022 entwickeln, können wir ahnen.

Zum Oktober 2022 soll der gesetzliche Mindestlohn von 12 Euro kommen. Die Arbeitgeberverbände kündigen jetzt schon Klagen dagegen an. Andere Unternehmen reagieren besonnen. Die weltweit operierende Firma Aldi hebt den dortigen und jetzigen Mindestlohn von 12 auf 14 Euro an. Wir benötigen einen europäischen Mindestlohn.

Die Renten werden am 1. Juli im Westen um 5,35 Prozent und im Osten um 6,12 Prozent steigen. Auch diese Rentensteigerungen werden die Inflation nicht ausgleichen. Auch hier werden die Rentnerinnen und Rentner einen realen Rentenverlust hinnehmen müssen.

100 Milliarden für die Rüstung. Bei der Rüstung sind sie fix – für die Bildung tun sie nix! Wir benötigen dieses Geld für Bildung, soziale Infrastruktur, auskömmliche Renten und eine vernünftige Gesundheitsversorgung, um nur einige Beispiele zu nennen. Nach dem 1. Mai ist vor dem 1. Mai. Wir müssen uns als DGB in die gesellschaftspolitische Debatte einbringen. In Betrieben und Verwaltungen für mehr Mitbestimmung und soziale Gerechtigkeit kämpfen. In wenigen Tagen beginnt das Parlament der Arbeit. Eine neue DGB-Spitze wird gewählt.

Der DGB war und ist immer ein großer Bestandteil der Friedensbewegung. In der augenblicklichen Situation müssen wir mit Bertha von Suttner fordern: Die Waffen nieder! Und ebenfalls den DGB und seine Einzelgewerkschaften stärken!

Der Autor ist DGB-Kreisvorsitzender in Coesfeld

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"DGB vor großen ­Herausforderungen", UZ vom 6. Mai 2022



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