2020 brachte vor allem Verschärfungen der Konflikte

Kein Frieden für den Nahen Osten

„Ein historischer Durchbruch für den Frieden im Nahen Osten!“ – das twitterte Trump am 10. Dezember, als Israel und das Königreich Marokko die Normalisierung der diplomatischen Beziehungen der beiden Länder verkündeten.

Zu Beginn des Jahres wurde der Deal des Jahrhunderts verkündet, der der israelischen Regierung während der Präsidentschaft von Trump Carte blanche für die Annexion der palästinensischen Gebiete geben sollte. Im August einigten sich Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate auf die Aufnahme normaler diplomatischer Beziehungen, andere Staaten folgten. Ende des Jahres sorgten die USA für eine Entspannung zwischen Katar und Saudi-Arabien.

Die Frontlinien verlaufen heute zwischen dem Iran auf der einen, Israel, den USA und vor allem den Golfstaaten auf der anderen Seite. War 2020 also das Jahr von Trump?

Auch der französische Präsident Macron konnte Erfolge verbuchen. Als am 4. August eine gewaltige Explosion den Hafen von Beirut erschütterte und Teile der Stadt zerstörte, war er als Erster vor Ort. Sein Ziel: Die Hisbollah sollte geschwächt werden – angeblich, um den Kampf gegen die korrupten Netzwerke der Eliten voranzutreiben. So traf sich Macron „privat“ mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten und Milliardär ­Ha­riri und gab ihm sein Plazet für einen erneuten Amtsantritt. Im Oktober wurde Hariri ohne die Stimmen der Hisbollah und ihrer Verbündeten zum Ministerpräsidenten gewählt.

Erdogan hatte Erfolg mit der expansiven türkischen Politik in Libyen und der Unterstützung für die Regierung in Tripolis. Die Türkei hat in einem umstrittenen Seerechtsabkommen mit der Regierung in Tripolis ihre Stellung im Streit um die Erdgasvorkommen im Mittelmeer gestärkt – gegen den Widerstand der EU.

Im Oktober wurde ein Waffenstillstand unterzeichnet, schon wieder – in den Worten von Stephanie Williams, der UN-Beauftragten für Libyen – ein historischer Moment. Ausländisches Militär und Milizen sollen das Land verlassen, es gilt ein Waffenembargo. Dennoch flogen türkische Transportflugzeuge in einer Luftbrücke den Stützpunkt Al Watiya an und ein Eklat ergab sich Ende November, als ein Schiff der Bundesmarine einen türkischen Frachter auf dem Weg nach Bengasi aufhielt und nach Waffen durchsuchte. Wegen des Protests der türkischen Regierung mussten die Soldaten die Untersuchung abbrechen.

So ist die türkische Armee weit in der Region im Einsatz, im Irak, in Syrien und in Libyen. Und im Grunde, trotz der wirtschaftlichen Schwäche der Türkei, mit Erfolg.

Was blieb 2020 von den Protesten gegen Korruption und Seilschaften im Irak und im Libanon? Im Irak flauten sie ab und im Libanon endeten sie zwischen Corona und der Explosion im Hafen von Beirut. Die Wahl des Milliardärs Hariri zum Ministerpräsidenten zeigt die ganze Verachtung der korrupten Seilschaften für die Protestbewegung.

Sanktionen, Sanktionen, Sanktionen. Israel bombardiert Damaskus, die Türkei bombardiert Irak und besetzt Teile von Syrien. Die USA und die EU aber kämpfen mit der modernen Waffe der Sanktionen, die die gesamte Gesellschaft treffen.

Die EU und die USA verhängen Sanktionen gegen die Türkei und sie verlängern und verschärfen ihre Sanktionen gegen Syrien. Jegliche Wirtschaftstätigkeit soll erdrosselt werden. Vor allem Trumps Cesar-Act, der den Wiederaufbau Syriens verhindern soll, trifft das Land hart und soll noch immer weiter ausgedehnt werden.
Und die UNO warnt wegen des Krieges erneut vor einer extremen Notlage für fünf Millionen Menschen im Jemen. Von einem Frieden ist der Nahe Osten so weit entfernt wie eh und je.

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"Kein Frieden für den Nahen Osten", UZ vom 18. Dezember 2020



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