Mindestens 200 Euro

Herbert Schedlbauer im Gespräch mit André auf der Heiden

ver.di-Forderungen TVöD 2018

6 Prozent, mindestens 200 Euro pro Monat als soziale Komponente

Ausbildungsvergütungen und Praktikantenentgelte um 100 Euro erhöhen

Nachtarbeitszuschlag in Krankenhäusern auf 20 Prozent anheben

Pausen im Krankenhaus als bezahlte Arbeitszeit

Urlaub für Azubis und Praktikanten 30 Arbeitstage

kostenloses Nahverkehrsticket

UZ: Um 6 Prozent, mindestens aber 200 Euro im Monat sollen die Löhne und Gehälter in der Tarifrunde öffentlicher Dienst für die Beschäftigten von Bund und Kommunen in diesem Jahr steigen. Einer der Schwerpunkte ist die Forderung einer „sozialen Komponente“. Wie kam es dazu?

André auf der Heiden ist Personalratsvorsitzender der Stadtverwaltung Oberhausen und ehrenamtlicher stellvertretender Vorsitzender des ver. di-Landesfachbereichs Gemeinden in Nordrhein-Westfalen

André auf der Heiden ist Personalratsvorsitzender der Stadtverwaltung Oberhausen und ehrenamtlicher stellvertretender Vorsitzender des ver. di-Landesfachbereichs Gemeinden in Nordrhein-Westfalen

André auf der Heiden: Bereits in den Vorjahren hat diese Forderung in den Debatten einen breiten Raum eingenommen. Weil über eine klassische lineare Erhöhung die unteren Gehaltsgruppen immer schlechter gestellt werden als die oberen. Preissteigerungen wie Mieten und andere Lebenshaltungskosten steigen natürlich für alle gleich. In dieser Tarifrunde haben die Arbeitgeber sich vehement dagegen aufgestellt. Das ist nichts Neues. In der Mitgliederbefragung hatte die soziale Komponente bei den Beschäftigten eine hohe Bedeutung.

UZ: Wie ist die Stimmung auf die Reaktion der Kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) in den Betrieben und Verwaltungen bei den Beschäftigten?

André auf der Heiden: Man ist generell nicht überrascht und die Stimmung ist gut und kämpferisch. Noch mehr solcher Botschaften, und die Stimmung wird steigen.

UZ: Die Kassen sind voll. Die Staatseinnahmen sprudeln. Der Präsident des kommunalen Arbeitgeberverbands VKA, Thomas Böhle, versucht, die Bürger gegen die ver.di-Forderung aufzubringen.

André auf der Heiden: Ich beschäftige mich jetzt nicht mit der Frage, ob es ihm gelingt, die Bürger auf seine Seite zu bekommen. Klar ist, dass er direkt nach Bekanntgabe der Tarifforderung über die Medien mal wieder eine versteckte Drohung losgelassen hat. So war zu hören, dass in den unteren Einkommensgruppen sowieso schon mehr verdient wird als bei der Privatwirtschaft. Die versteckte Botschaft heißt, der Privatisierungsdruck bei Bund und Kommunen steigt. Das ist mittlerweile ein Mythos der Arbeitgeberseite, den man verzweifelt versucht Jahr für Jahr aufrecht zu erhalten.

UZ: Ist es deshalb nicht erst recht sinnvoll, Solidarität mit den Bürgerinnen und Bürgern hinzubekommen?

André auf der Heiden: Wir müssen nach außen klarmachen, dass wir in Konkurrenz um die besten Köpfe mit der Privatwirtschaft stehen. Dazu sind eine attraktive Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen nötig. Wer im öffentlichen Dienst arbeitet, hinkt mit seinem Gehalt noch immer der Privatwirtschaft hinterher. Die Lohnentwicklung der letzten Jahre in den unterschiedlichen Branchen belegt das eindeutig. Das gleiche gilt übrigens auch für Nachwuchskräfte. Dazu gehören die Auszubildenden, für die wir u. a. 100 Euro pro Monat fordern. Zudem brauchen wir weiterhin eine tarifliche Absicherung zur unbefristeten Übernahme nach der Ausbildung. Insgesamt müssen die Rahmenbedingungen verbessert werden. Neben Geld natürlich auch gute Arbeitszeiten und Aspekte wie Urlaub, Urlaubsgeld und andere Leistungen.

UZ: Alles gute Gründe, sich auch als Auszubildender oder Praktikant gewerkschaftlich zu organisieren und am Arbeitskampf teilzunehmen?

André auf der Heiden: Die Jugend hat sich in der Vergangenheit fantastisch beteiligt. Ich bin sicher, das macht sie auch in diesem Jahr. Es ist in der heutigen Zeit für die Lebensplanung von immenser Bedeutung, nach der Ausbildung eine Zukunftsperspektive zu erhalten. Die Forderung nach einer unbefristeten Übernahme ist daher die logische Konsequenz und verdient daher die volle Unterstützung von ver.di.

UZ: In vielen Betriebsstellen hängen an den schwarzen Brettern „Überlastungsanzeigen“ von den Kolleginnen und Kollegen. Die Arbeit ist mit der jetzigen Anzahl der Beschäftigten nicht mehr zu bewältigen. Insofern wäre die Forderung nach einem „Entlastungstarifvertrag“ richtig. Warum spielte der in der aktuellen Tarifrunde keine Rolle?

André auf der Heiden: Was noch nicht ist kann ja noch werden. Wie wichtig die Entlastungsfrage ist, zeigt sich an den Sparorgien in den Kommunen. Sie haben zu erheblicher Arbeitsverdichtung geführt. Ich komme aus einer Stadt, die seit über dreißig Jahren Haushaltskonsolidierung betreibt. Man verlangt, Personal zu sparen, ohne zu sagen, welche Aufgaben denn eine Verwaltung zukünftig mit dem noch vorhandenen Beschäftigten leisten soll. Das alles führt zu einer permanenten Überlastung in unterschiedlicher Ausprägung. Da, wo eine solche Überlastung für einen längeren Zeitraum besteht, treten psychosomatische Erkrankungen auf, wie wir zunehmend feststellen müssen.

UZ: Erste Warnstreiks gab es bereits. ver.di will diese jedoch vorerst nicht über vier Stunden ausdehnen. Schwächt das nicht den Arbeitskampf? Die IG Metall ging erst kürzlich einen anderen Weg. Dort wurden die Streiks auf 24 Stunden ausgedehnt.

André auf der Heiden: Ich denke, dass wir hier nicht öffentlich über Streikstrategien reden sollten, aber seien Sie sicher: Die Frage, ob wir vorbereitet sind, kann von mir bejaht werden. Deshalb sind die Arbeitgeber gefordert, in den bereits terminierten Verhandlungsrunden im März und April – und da allerspätestens – ein Angebot vorzulegen, über das es sich lohnt zu reden. Uns ist bewusst, dass die Gegenseite zählt, wie viel wir auf die Straße bringen. Die Arbeitgeber müssen sich fragen, ob das die entscheidende Messgröße ist.

UZ: Neben der Forderung nach einem „Entlastungstarifvertrag“ wäre auch eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich sinnvoll. Ist es nicht notwendig, das neben den Lohn- und Gehaltsforderungen mehr in den Fordergrund zu rücken?

André auf den Heiden: Das Thema Arbeitszeit muss künftig eine Rolle spielen. Ich sehe allerdings eine hohe Komplexität. Da ist die Frage, wie soll das denn aussehen? Gehe ich auf eine wöchentliche Reduzierung der Arbeitszeit ein oder wie jetzt bei der IG Metall vereinbart wurde. Wie bekomme ich Familie und Beruf besser zueinander? Wir haben im öffentlichen Dienst zum Beispiel ältere Beschäftigte, die über einen weicheren Ausstieg mit uns reden wollen, Stichwort Altersteilzeit. Dies alles bedarf einer ordentlichen Vorbereitung. Die Kolleginnen und Kollegen müssen dazu gehört und bei ihren Vorstellungen abgeholt werden. Dann wird dies auch Thema einer Tarifrunde sein.

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"Mindestens 200 Euro", UZ vom 16. März 2018



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