Russland will seine Verpflichtungen im Zusammenhang mit der ISS weiter erfüllen – bis 2024

Neuer Chef für Roskosmos

Etwas überraschend kam das denn doch: Mitte Juli wurde Dimitri Rogosin, dessen Äußerungen auf Twitter und auf seinem Telegram-Kanal in den letzten Monaten irritierend wirkten und in den hiesigen bürgerlichen Medien für eine Reihe von Spekulationen – vor allem im Zusammenhang mit dem Weiterbetrieb der Internationalen Raumstation ISS – sorgten, als Chef der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos abgelöst. An seine Stelle trat Juri Borissow, der gleich verlauten ließ, dass Russland seine Verpflichtungen im Zusammenhang mit der ISS erfüllen wird, aber bekanntlich auch andere Pläne habe.

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Deshalb ist nicht auszuschließen, dass Rogosin wegen seiner Äußerungen störte, die bei den Partnern auf der ISS, vor allem der NASA, zu Fragen im Hinblick auf die Verlässlichkeit ihrer russischen Kollegen führten. Vielleicht hat der Wechsel an der Roskosmos-Spitze aber auch etwas mit der Einschätzung der russischen Rechnungskammer über die mangelnde Effektivität des russischen Weltraumprogramms unter der Leitung Rogosins zu tun? Der Chef der Rechnungskammer, Kudrin, hatte nämlich bei einem Treffen mit Präsident Putin am 14. Juni im Zusammenhang mit der Entwicklung von Weltraumaktivitäten auf Mängel aufmerksam gemacht.

Der neue Chef an der Spitze von Roskosmos, Borissow, hat, anders als Rogosin (von der Ausbildung Journalist und Wirtschaftswissenschaftler, von Januar 2008 bis Dezember 2011 ständiger Vertreter der Russischen Föderation bei der NATO. von Dezember 2011 bis Mai 2018 einer der stellvertretenden russischen Ministerpräsidenten) eine wissenschaftliche Ausbildung, die man schon eher mit seiner neuen Aufgabe verbindet: 1985 absolvierte Borissow erfolgreich die Fakultät für Numerische Mathematik und Kybernetik der Lomonossow-Universität Moskau. Borissow war unter anderem stellvertretender Verteidigungsminister, seit Mai 2018 russischer Vize-Ministerpräsident. In dieser Funktion war er unter anderem für Fragen der nationalen Verteidigung, militärische Ausrüstung, militärische Entwicklung, internationale militärische Zusammenarbeit, Atomaufsicht und Zivilverteidigung zuständig.

Die erste öffentliche Erklärung von Borissow galt, wie erwähnt, der ISS. Bei einem Treffen mit Präsident Putin betonte der neue Roskosmos-Chef, dass es bei der Entscheidung bleibe, Russland nach 2024 aus dem Projekt der Internationalen Raumstation (ISS) zurückzuziehen. Er betonte aber ausdrücklich, Roskosmos werde bis zum endgültigen Rückzug alle Verpflichtungen gegenüber den internationalen Partnern erfüllen. Planmäßig arbeite man an der Entwicklung einer eigenen Russischen Orbitalstation (ROSS) (UZ berichtete). Die Hauptaufgabe von Roskosmos ziele darauf ab, die russische Wirtschaft mit den notwendigen Weltraumdiensten zu versorgen: Navigation, Kommunikation, Datenübertragung, meteorologische und geodätische Informationen und so weiter. Er betonte ausdrücklich, dass aber Roskosmos die wissenschaftliche Forschung gewiss nicht vergessen werde. Zudem sei es notwendig, für eine gewisse Zeit ISS und ROSS parallel zu betreiben.

Die NASA reagierte erleichtert. Die Leiterin des bemannten Programms der NASA, Cathy Lueders, erklärte: „Wir bekommen auf keiner Arbeitsebene Hinweise darauf, dass sich etwas ändert.“. Mitte Juli wurde, kurz nach der Ablösung Rogosins, bestätigt, dass im Interesse beider Seiten in der näheren Zukunft russische Kosmonauten auf NASA-Flügen zur internationalen Raumstation mitgenommen und weiter NASA-Astronauten in russischen Raumkapseln mitfliegen werden. So soll im September die Kosmonautin Anna Kikina als erste Russin mit einer SpaceX-Rakete zur ISS starten.

Die Vereinbarung sei im Interesse beider Staaten und werde die Kooperation im Bereich der ISS vertiefen, teilte Roskosmos mit. Es könne so gewährleistet werden, dass im Falle von verspäteten oder ausfallenden Raketenstarts trotzdem immer mindestens ein Roskosmos- und ein NASA-Mitglied auf der ISS seien.

Allen Beteiligten ist jedoch klar, dass die ISS spätestens am Ende dieses Jahrzehnts ihren Betrieb einstellen wird. Ein neues Projekt solch breiter internationaler Zusammenarbeit ist nicht in Sicht. Ob die NASA eine eigene Raumstation im Erdorbit errichten wird? Derzeit ist wahrscheinlich, dass nach der ISS neben der russischen Station ROSS zunächst nur noch die derzeit im Aufbau befindliche chinesische Raumstation „Tiangong“ die Erde umkreisen wird.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Neuer Chef für Roskosmos", UZ vom 5. August 2022



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