Pflege im Schweinsgalopp

Lars Mörking im Gespräch mit Meike Siefker

UZ: Meike, seit fast 25 Jahren arbeitest du in der Altenpflege. Was sagst du zur derzeitigen Situation?

Meike Siefker: Die Arbeitsverdichtung nimmt ständig zu, es gibt aber keine klaren Ansagen, was wir bei der Arbeit liegen lassen sollen. Die Arbeit ist so kaum zu schaffen. Die Menschen werden heute im Schweinsgalopp gepflegt.

Bei uns in der Einrichtung haben wir hochgradig erkrankte Patienten. Die ganze Freizeitgestaltung – die früher mit zur Altenpflege gehörte – ist ausgelagert worden, dafür gibt es jetzt Betreuungskräfte. Die eigentlichen Altenpfleger pflegen nur noch im engeren Sinne: Waschen, Behandlungen durchführen und dokumentieren – das war‘s. Den eigentlichen Beruf Altenpflege wie es ihn einmal gab, den gibt es nicht mehr.

UZ: Wie äußert sich das an deinem Arbeitsplatz konkret?

Meike Siefker: Wir betreuen 35 Bewohner, morgens sind wir meistens vier Altenpflegerinnen – das bedeutet aber nicht, dass jede Kraft voll zur Verfügung steht, manche haben auch verkürzte Dienste. Wir pflegen also im Durchschnitt acht bis neun Menschen komplett.

UZ: Wie viele müsstet ihr deiner Meinung nach sein, um die Arbeit gut machen zu können?

Meike Siefker: Bei uns – da geht es um demenzkranke Menschen – brauchen wir mindestens sechs bis sieben Pflegekräfte, so wie es früher auch war. Dann hast du auch eine Chance, auf die mit der Krankheit verbundenen Ängste und Problematiken einzugehen.

UZ: Die Gesundheitsversorgung – und hier besonders auch die Altenpflege – ist ja durchaus zum öffentlichen diskutierten Thema geworden, auch durch Aktionen und Kritik der Beschäftigten. Auch Gesundheitsminister Spahn will inzwischen mehr Stellen in der Altenpflege – 13 000 bundesweit sollen es sein …

Meike Siefker: Das ist pro Einrichtung mit 100 Bewohnern etwa eine 0,6-Vollzeitstelle. Damit hat jeder Wohnbereich nicht einmal eine 0,2-Stelle. Das ist nun wirklich ein Witz. Es werden derzeit alle möglichen interessanten Vorschläge gemacht. Die „Neue Westfälische“ berichtet, dass Wiedereinsteiger 5 000 Euro Prämie bekommen sollen. Auch da frage ich mich, was das soll. Was machen die denn mit denen, die seit 30 Jahren in der Pflege arbeiten? Das sind Vorschläge, die der Bevölkerung den Eindruck vermitteln sollen, hier werde etwas getan. Aber an der Grundproblematik ändert das gar nichts.

UZ: Gibt es viele Kolleginnen und Kollegen, die aufgrund der hohen Belastung aus dem Pflegeberuf aussteigen?

Meike Siefker: Wir haben Kolleginnen und Kollegen, die unter Burnout leiden, und viele Abbrecher – im Durchschnitt vier Jahre nach der Ausbildung.

UZ: Ihr habt in Bielefeld eine DKP-Betriebsgruppe Altenpflege gegründet und seid Initiatorinnen des NRW-Branchentreffens Altenpflege am 24. Juni in Leverkusen. Was plant ihr für dieses Treffen?

Meike Siefker: Auf dem 22. Parteitag unserer Partei ist der Wunsch nach einem Austausch und nach gegenseitiger Unterstützung geäußert worden. Derzeit möchte ver.di zum Thema Altenpflege mehr unternehmen und mehr Druck in den Altenheimen aufbauen. Wir wollen darüber reden, wie wir das unterstützen können.

Erst einmal geht es aber vor allem um einen Austausch und darum zu schauen, welche Genossinnen und Genossen überhaupt in diesem Bereich arbeiten. Bisher ist es so, dass es kaum Organisierung – auch gewerkschaftliche – in der Altenpflege gibt. Die Situation unterscheidet sich noch einmal deutlich zum Beispiel von der in den Krankenhäusern.

UZ: Was macht eure Betriebsgruppe Altenpflege? Zu welchen Themen arbeitet ihr?

Meike Siefker: Wir hatten gerade die Auseinandersetzung um die „Ehrenerklärung“, die nun vom Tisch ist.

UZ: Worum ging es da?

Meike Siefker: In der stationären Altenpflege muss jede Führungskraft neuerdings regelmäßig ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Das kostet Geld – und zwar den Arbeitgeber. Weil die Leitung unserer Einrichtung das nicht bezahlen wollte und das Gesetz auch andere Nachweise ermöglicht, wurde stattdessen eine „Ehrenerklärung“ aufgesetzt, die die Beschäftigten unterschreiben sollten.

Die ging aber über das hinaus, was im polizeilichen Führungszeugnis steht. Mit dieser Erklärung verpflichtet man sich, dass auch in Zukunft nichts gegen einen vorliegen wird und es wird verlangt, dass ich meinem Arbeitgeber sofort mitteile, wenn es eine Anzeige oder etwas Ähnliches gegen mich geben könnte. Wir sind damit zu unserer Anwältin gegangen und sie hat davor gewarnt, eine solche Erklärung zu unterschreiben. Auch wenn eine so formulierte Erklärung nicht rechtsgültig wäre, könnte bei Verstoß dagegen eine fristlose Kündigung mit einem Bruch des Vertrauensverhältnisses begründet werden. Wir sind dann öffentlich dagegen vorgegangen.

UZ: Wo seht ihr eure nächsten Aufgaben?

Meike Siefker: Derzeit geht es darum, die neuen Mitglieder der Mitarbeitervertretung zu schulen. Dann sammeln wir natürlich Unterschriften für „Abrüsten statt Aufrüsten“, wobei wir die steigenden Rüstungsausgaben der Unterfinanzierung im Gesundheitswesen gegenüber stellen.

Und dann mobilisieren wir zum 20. Juni nach Düsseldorf, wo die Gesundheitsministerkonferenz stattfinden wird.

UZ: Was erwartet ihr von dieser Konferenz?

Meike Siefker: Gar nichts.

UZ: Warum fahrt ihr dann überhaupt hin?

Meike Siefker: Um unsere Forderungen sichtbar zu machen.

UZ: Und was könnte auf einem Transparent stehen, dass ihr dort hochhalten werdet?

Meike Siefker: Oh, das gibt es vieles. „Mehr Personal“ auf jeden Fall – zum Beispiel ein Personalschlüssel von einer Pflegekraft für vier Patienten. „Recht auf Vollzeit“, am besten bei einer Vollzeit von 30 Stunden pro Woche und vollem Personal- und Lohnausgleich.

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Über den Autor

Lars Mörking (Jahrgang 1977) ist Politikwissenschaftler. Er arbeitete nach seinem Studium in Peking und war dort Mitarbeiter der Zeitschrift „China heute“.

Mörking arbeitet seit 2011 bei der UZ, zunächst als Redakteur für „Wirtschaft & Soziales“, anschließend als Verantwortlicher für „Internationale Politik“ und zuletzt – bis Anfang 2020 – als Chefredakteur.

 

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"Pflege im Schweinsgalopp", UZ vom 1. Juni 2018



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