Über einen SPD-Mann, der Klartext spricht

Stimme der Vernunft

In einem Interview mit dem Bremer „Weser Kurier“ hat der frühere EU-Kommissar Günter Verheugen (SPD) am Montag noch deutlicher als in vorangegangenen Stellungnahmen seinen Unmut über die westliche Kriegspolitik gegenüber Russland geäußert. Einige Beispiele: „Der Umsturz in der Ukraine wird bei uns dargestellt als eine demokratische Revolution von begeisterten Pro-Europäern. Das war eine fabelhafte PR-Nummer, denn es ist nur ein Ausschnitt der Wahrheit. Es war ein vorbereiteter Staatsstreich. Die ersten Maßnahmen der Übergangsregierung waren gegen die russischstämmige Bevölkerung in der Ukraine gerichtet. Dann begann der Krieg 2014 mit der sogenannten Anti-Terror-Operation und die russische Politik von Putin wurde dämonisiert.“ Der Krieg habe eine lange Vorgeschichte, die es aber „in der offiziellen westlichen Darstellung“ nicht gebe. Einen Grund dafür, dass die deutsche Debatte verengt sei, sieht Verheugen „in der fundamentalistischen Außenpolitik der Grünen“. Die Welt erkenne aber Heuchelei und doppelte Standards „bei uns“. Es sei offensichtlich, „dass die Ukraine verzweifelt versucht, dass das Engagement des Westens und der NATO die Grenze zur direkten Intervention überschreitet“. Das wäre aber „der Schritt in den Abgrund“.

Es ist die bisher klarste Stellungnahme Verheugens zu den Ursachen des Krieges und den Möglichkeiten, ihn zu beenden. Dabei bezeichnet der frühere FDP-Politiker durchaus Russland als Aggressor und erklärt sich ganz im Sinn der damaligen „Konterrevolution auf Filzlatschen“ zur BRD-„Entspannungspolitik“ der 60er Jahre: „Wenn ich möchte, dass sich die Verhältnisse in einem autoritären Staat ändern, erreiche ich das nicht mit militärischem Druck, sondern indem ich ein Vertrauensverhältnis schaffe.“ Das dürfte sich nach der jüngsten Erfahrung Russlands etwa mit den Minsker Abkommen nicht wiederholen lassen. Aber ähnlich wie vor 60 Jahren bieten die von Verheugen entwickelten Ansätze mit Russland fast die einzige Möglichkeit für Frieden. Er kennt die Kräfte, die Interesse an der Verlängerung des Gemetzels haben. Seine Beharrlichkeit ist umso höher zu achten.

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"Stimme der Vernunft", UZ vom 1. September 2023



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