Das Steueraufkommen 2020 im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 – eine erste kritische Sichtung

Wer finanziert den Steuerstaat?

Thomas Ewald-Wehner

Das Gesamtsteueraufkommen lag im Jahr 2019 noch bei 799,3 Mrd. Euro, ein Jahr später betrug es noch 739,7 Mrd. Euro. Krisenbedingt ist das Gesamtsteueraufkommen 2020 also um 59,6 Mrd. Euro zurückgegangen – das entspricht einem Minus von 7,5 Prozent.

Entwicklung der „­Massensteuern“

Das Lohnsteuer- und Umsatzsteueraufkommen machen zusammen den größten Teil der Gemeinschaftssteuern aus, die jeweils zum größten Teil den Gebietskörperschaften Bund und Länder zustehen – und zu einem erheblich kleineren Anteil den Gemeinden. „Mehrwertsteuer“ ist der umgangssteuerliche Begriff für Umsatzsteuer. Sie ist eine verbrauchssteuerähnliche Verkehrssteuer und belastet den privaten Endverbraucher. Die Mehrwertsteuer ist zudem die aufkommensstärkste „indirekte Steuer“, die vom vereinnahmenden Unternehmer dem Fiskus geschuldet, aber vom privaten Endverbraucher wirtschaftlich getragen wird. Sie fällt bei Energie (Heizung, Strom, Kraftstoffen), Kleidung und Lebensmitteln und so weiter an und lastet neben den sogenannten „Verbrauchssteuern“ auf den notwendigen Einkäufen der arbeitenden Menschen und Rentner. Sie ist unsozial, weil sie die jeweilige (wirtschaftliche) Leistungsfähigkeit unberücksichtigt lässt.

Die Umsatzsteuer ging von 243,3 Mrd. Euro (2019) um 23,8 Mrd. Euro auf 219,5 Mrd. Euro (2020) zurück – ein Minus von 9,8 Prozent. Hier schlägt auch die Absenkung der Umsatzsteuersätze auf 16 Prozent bzw. 5 Prozent (ermäßigter Steuersatz zum Beispiel für Lebensmittel) in der zweiten Jahreshälfte 2020 zu Buche.

Die Lohnsteuer ging von 219,7 Mrd. Euro (2019) um 10,4 Mrd. Euro auf 209,3 Mrd. Euro (2020) zurück; ein Minus von 4,7 Prozent. Dieser Rückgang hat seine Ursache darin, dass Millionen in Kurzarbeit geschickt wurden. Beim Lohnsteueraufkommen ist noch zu berücksichtigen, dass das jährlich ausgezahlte Kindergeld von über 40 Mrd. Euro – durch die Kinder-Bonus-Zahlungen 2020 war es noch höher – dieses jeweils gemindert hat, so dass die Lohnsteuer im Prinzip die aufkommensstärkste bundesdeutsche Steuerart ist.

Im Jahr 2019 lag der Anteil der „Massensteuern“ (463 Mrd. Euro) am Gesamtaufkommen von 799,3 Mrd. Euro bei 57,93 Prozent.
Im Jahr 2020 lag der Anteil der „Massensteuern“ (428,8 Mrd. Euro) am Gesamtaufkommen von 739,7 Mrd. Euro bei 57,96 Prozent.
Im Ergebnis ist der bundesdeutsche „Sozialstaat“ als ein durch die „kleinen Leute“ finanzierter Steuerstaat zu qualifizieren. Dieser Eindruck bestätigt sich, wenn man das Körperschaftsteuer-Aufkommen der Kapitalgesellschaften (AG, GmbH etc.) in den Blick nimmt.

Körperschaftsteuereinnahmen

Die Körperschaftsteuer ging von 32,0 Mrd. Euro (2019) um 7,7 Mrd. Euro auf 24,3 Mrd. Euro (2020) zurück – ein Minus von 24,0 Prozent. Der prozentuale Anteil der Körperschaftsteuer im Jahr 2020 (24,3 Mrd. Euro) am Gesamtaufkommen von 739,7 Mrd. Euro lag bei 3,2 Prozent. Er dümpelte in den Vorjahren bei durchschnittlich nur 4 Prozent herum.

Circa 15.000 marktstarke Aktien­gesellschaften (darunter die DAX- und M-DAX-Konzerne) und etwa 1 Mio. GmbHs erbringen ein am Ende für den „Sozialstaat BRD“ zu vernachlässigendes Steueraufkommen. Es wird durch „Steuergestaltungen“ in Form von Gewinnverlagerungen in „Steueroasen“ mit Niedrig- und Niedrigst-Besteuerung bewirkt. Die großen Kapitalgesellschaften bedienen sich hierbei der Expertise der „Big-Four“ genannten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften Deloitte, EY, KPMG und PWC die in Hochhäusern in Frankfurt am Main/Eschborn, Berlin etc. ihr Beratungsgeschäft zu Lasten des Steuerstaates BRD verrichten.

Gewerbesteuereinnahmen

Die Gewerbesteuer ist eine bundesrechtlich geregelte Gemeindesteuer. Aus ihrem Ertrag finanzieren sich die Städte und Gemeinden. Die Gewerbesteuer ging von 55,4 Mrd. Euro (2019) um 10,1 Mrd. Euro auf 45,3 Mrd. Euro (2020) zurück – ein Minus von 18,3 Prozent.

Verbrauchssteuern sind ungerecht

Bei den reinen Bundessteuern – also einer Steuer, bei der der „Bund“ die Ertragshoheit hat – erbrachte die Energiesteuer im Jahr 2020 37,6 Mrd. Euro (minus 7,5 Prozent). Die Energiesteuer ist eine Verbrauchsteuer, auf der neben den reinen Warenkosten noch die Umsatzsteuer (verbrauchsteuerähnliche Verkehrssteuer) von 19 Prozent zusätzlich lastet. Werden die „CO2-Steuern“ erhöht, erhöht sich gleichzeitig die Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer. Die Kleinverdiener, die einen Großteil für Energie, Lebensmittel und Kleidung verausgaben müssen, werden dadurch erheblich mehrbelastet. Deshalb spricht man von diesen „indirekten Steuern“ auch als von sozial gesehen besonders ungerechten Steuern, weil hier nicht wie bei der Einkommensteuer die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit maßgebend ist.

An die Europäische Union wurden von den Steuereinnahmen übrigens 32,8 Mrd. Euro (plus 6 Prozent) abgeführt. Im Krisenjahr mussten viele (Klein-)Betriebe schließen und Belegschaften in Kurzarbeit gehen, was die volkswirtschaftliche Gesamtwirtschaftsleistung schmälerte und damit einhergehend auch das Steueraufkommen.

Mit einer leichten „Erholung“ 2021 kann aller Voraussicht nach gerechnet werden – aber: Wer zahlt die Kosten der „Krise“?


Die Bundestagswahlprogramme von „Rot-Grün-Gelb“ zur Steuerpolitik:

Die Grünen fordern „eine sozial orientierte Wirtschafts- und Steuerpolitik“. „Wir gehen die Ungerechtigkeiten im Steuersystem entschlossen an und nutzen die Lenkungswirkung von Steuern für Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft“, heißt es im Wahlprogramm. Und weiter: „Hohe Einkommen und Vermögen sollen (…) mehr zur Finanzierung unseres Gemeinwesens beitragen und niedrige werden entlastet.“ Mit einer weiteren und verstärkten CO2-Bepreisung („Lenkungswirkung“) ist zu rechnen.

Bei der SPD ist im „Zukunftsprogramm“ unter „Wie wir unsere Politik finanzieren wollen“ zumindest dies zu lesen: „Eine Politik der Austerität nach der Krise wäre ein völlig falscher Weg.“ „Gegen Steuerhinterziehung, Steuervermeidung und Steuerbetrug werden wir konsequent vorgehen. (…) Für diejenigen, die besonders viel verdienen, halten wir zudem an dem Aufschlag von 3 Prozentpunkten zur Einkommensteuer fest.“ Und weiter: „Wir wollen die Vermögensteuer wieder in Kraft setzen, auch um die Finanzkraft der Länder für wichtige Zukunftsaufgaben zu verbessern. (…) Google, Amazon, Facebook und andere große Digitalunternehmen müssen einen angemessenen Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens leisten.“

Die FDP will „Impulse“ setzen und „Perspektiven“ eröffnen, um „nachhaltiges Wachstum“ zu ermöglichen, und zwar durch weitere Steuersenkungen für Unternehmen. Im FDP-Wahlprogramm unter dem Titel „Nie gab es mehr zu tun“ steht: „Deutschland nimmt bei der Steuerbelastung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen inzwischen einen weltweiten Spitzenplatz unter den Industrienationen ein. Das schadet dem Standort Deutschland und verhindert notwendige Investitionen.“

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"Wer finanziert den Steuerstaat?", UZ vom 15. Oktober 2021



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