Klimaprogramme für Verkehr und Gebäude vorgestellt, Klimaschutz-Sofortprogramm verschoben

Da war ja noch was

Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) hatte am 11. Januar seine „Eröffnungsbilanz zum Klimaschutz vorgelegt“. Zentraler Baustein zur Erreichung der selbstgesteckten Klimaziele bis 2030 sollte das spätestens für Juli angekündigte „Klimaschutz-Sofortprogramm“ sein. Es bündele alle ressortübergreifenden Maßnahmen der Bundesregierung, denn „nur so bleibt noch Zeit für die Umsetzung und das Inkrafttreten der beschlossenen Maßnahmen in der 2. Jahreshälfte 2022“, hieß es. Sechs Monate später stellte sich nun heraus, dass sich Habecks Plan erst einmal in Luft aufgelöst hat. Am 13. Juli trat nämlich Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) vor die Presse, um in 25 Minuten sein hauseigenes „Sofortprogramm für den Sektor Verkehr“ vorzustellen. Gefolgt von Bauministerin Klara Geywitz (SPD), die mit ihrem „Sofortprogramm für den Sektor Gebäude“ fortsetzte.

Offiziell war zu hören, der Abstimmungsprozess zum Klimaschutz-Sofortprogramm sei „noch nicht abgeschlossen“, man werde dazu „im Herbst“ mehr erfahren. Inoffiziell trägt der zwischen den Bundesministerien kursierende interne Entwurf des Sofortprogramms den Bearbeitungsstand „4. April“ – viel dürfte in den letzten drei Monaten folglich nicht besprochen worden sein. Wissing und Geywitz sollten unter Beweis stellen, dass jedenfalls in den von ihnen geführten Ressorts detaillierte Maßnahmen zur CO2-Reduktion aufgelegt worden sind. Der Kurzvortrag des Verkehrsministers entsprach Inhalt und Reichweite seines auf zweieinhalb Seiten notierten Sofortprogramms. Olaf Brandt, Vorsitzender des „Bundes für Umwelt und Naturschutz“ (BUND), nennt das Papier einen „politischen Offenbarungseid“, die „Heilbronner Stimme“ amüsiert sich: „Wissing ist an mangelndem Ehrgeiz nicht zu unterbieten“ und Wiebke Zimmer von der „Agora Verkehrswende“ antwortet auf die Frage des „Spiegel“, was in Wissings Papier fehle: „Eigentlich alles“. Von der Abschaffung des Dienstwagenprivilegs, dem Stopp der Streckenstilllegungen bei der Bahn oder gar einem Tempolimit war ohnehin nicht die Rede. Und das vor dem Hintergrund, dass 2021 das Limit der verkehrsbedingten CO2-Emissionen um 3 Millionen Tonnen überschritten worden war.

Nicht eine zeitlich konkrete Zielsetzung, stattdessen Absichtsplattitüden aus dem Repertoire einer Sonntagsansprache wie: „Mit den Ländern sollen organisatorische Verbesserungen und Vereinfachung der ÖPNV-Nutzung“ vereinbart werden; was, wann, wozu erfährt man nicht. Wie der Verkehr verfehlte auch der Gebäudesektor im vergangenen Jahr (bereits zum zweiten Mal) die laut Klimaschutzgesetz höchstens zulässigen CO2-Werte. Der Anteil der Gebäudewirtschaft an den bundesdeutschen Kohlenstoffemissionen beläuft sich auf circa 18 Prozent, zählt man den Energieaufwand für die Baustoffe dazu, steigt er auf etwa 28 Prozent. Offensichtlich wusste Bauministerin Geywitz um die blinden Stellen ihres Sofortprogramms, weshalb sie einleitend darauf hinwies, dass das Bauministerium in den Sommerferien nachsitzen müsse, „weil wir die Klassenziele des letzten Jahres verfehlt haben“. Der ihr assistierende Klima-Staatssekretär Patrick Graichen stimmte darauf ein, dass die CO2-Ziele wahrscheinlich auch die nächsten drei Jahre verfehlt werden, da jetzt beschlossene Maßnahmen erst nach Jahren Wirkung zeigen. Letztlich sei auch nicht auszuschließen, dass der Gebäudesektor sein Ziel im Jahr 2030 doch verfehle.

Zu der Frage, wer die Kosten der Energiewende in Folge der Gebäudesanierungen trägt, verlor Geywitz kein Wort, ebenso wenig wie zum aktuellen Anstieg der Energiekosten für die privaten Haushalte um bis zu 300 Prozent und das Überwälzen der Bausanierungskosten auf die Mieter. Es sei das Ziel der Bundesregierung, „400.000 neue bedarfsgerechte und klimafreundliche Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 öffentliche Wohnungen, zu schaffen“. Ein paar Zahlen zeigen, was man davon zu halten hat: 2021 sind 293.393 Wohnungen fertiggestellt worden, davon 21.468 Sozialwohnungen. Die Wohnungsbaubranche lag schon vor den antirussischen Sanktionen wegen der horrenden Preissteigerungen von bis zu 80 Prozent bei Baumaterialien am Boden. Der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft (GdW) warnte am 11. Februar, dass bei 145.000 Wohnungen ein Baustopp anstehe, weitere 70.000 Wohnungen könnten nicht wie geplant saniert werden. Die Presseerklärung der GdW vom 7. Juli fasst die Lage zusammen: Das „Regierungsziel von 400.000 neuen Wohnungen jährlich ist Makulatur“.

Über den Autor

Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler.

Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr.

Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.

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"Da war ja noch was", UZ vom 22. Juli 2022



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