Zu den Aufregern der vergangenen Tage

Drei Demos und ein Unwort

Passend zur aktuellen Debatte kürte eine Jury am Montag „Remigration“ zum Unwort des Jahres 2023. Nach der Enthüllung zum „AfD-Geheimtreffen“, bei dem mindestens ein CDU-Mitglied anwesend war, ist die Empörung groß: Millionen Menschen sollen Deutschland verlassen. Neu ist das bei Rassisten nicht.

Tausende Menschen haben am Sonntag gegen die AfD in Berlin und Potsdam demonstriert. Unter ihnen Bundeskanzler Olaf Scholz. Im Oktober vergangenen Jahres sagte er dem „Spiegel“: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.“ Den Medien fiel der Widerspruch nicht auf. So nutzten die Parteien der extremistischen Mitte die Gelegenheit, sich als Verteidiger der Demokratie zu inszenieren. Die „Demokraten“ werden einwenden, Scholz meinte nur die, die zu Unrecht hier sind, diejenigen, die sich nicht integrieren wollen. Bei der AfD heißen die etwas derber Wirtschaftsflüchtlinge und Islamisten aus Messerkulturen. Auch den Rauswurf schon Eingebürgerter fordert die AfD nicht exklusiv: Seitdem das „Existenzrecht Israels“ öffentlich-aggressive Staatsräson ist, wird nicht nur das Bekenntnis zum Recht Israels auf Auslöschung der Hamas verlangt. Wer sich als Eingebürgerter der Staatsräson widersetzt, dem wird angedroht, den Aufenthaltsstatus zu verlieren.

Die „demokratische“ Staatsmacht sahen und spürten die Tausende, die zu den Gräbern von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in Berlin-Friedrichsfelde zogen. Auf ihre widerständige Meinung reagierte ein uniformierter Mob mit gezielten Schlägen ins Gesicht. Vor allem traf es Schwarzköpfe. Schon die Verbote und die Gewalt der Berliner Polizei gegen pro-palästinensische Demonstrationen im vergangenen Herbst hatten einen rassistischen Unterton. Höhepunkt war die Feierstunde zum 9. November im Bundestag. Einig war sich das Parlament, dass Antisemitismus entweder importiert ist oder von ewiggestrig Linken verbreitet wird.

Am Montag dann demonstrierten 30.000 Bauern gegen die Politik der Ampelregierung. Seit Beginn des Jahres wurde die Stimmung gegen sie angeheizt. Höhepunkt war das Märchen vom wütenden Bauernmob, der Wirtschaftsminister Habeck angreifen wollte. Inzwischen ist klar, es gab keinen „Erstürmungsversuch“. Vom montäglichen Protest meldete der Rundfunk Berlin-Brandenburg nun eine teils „äußerst aufgeheizte Stimmung“. Dass die Bauern sich auf ihrer Kundgebung von rechts abgrenzten, verschweigen die Medien: Finanzminister Christian Lindner (FDP) war dank Hupen, Pfeifen und „Hau ab!“-Rufen nicht zu verstehen. Seine chauvinistischen Ergüsse durfte er in den „Tagesthemen“ wiederholen. Es müsse „neu über die Aufgaben des Staates“ miteinander geredet werden. Dazu sei ein Beitrag aller nötig, schließlich müsse Deutschland in Sicherheit, also Aufrüstung, investieren. Und in einen günstigen Strompreis – natürlich nur für die Industrie. Das Problem sind für Lindner vor allem diejenigen, die dem Staat auf der Tasche liegen: Asylsuchende und Bürgergeldbezieher. Auch sollten die Menschen weniger ausländische Billigprodukte kaufen und mehr Geld für heimische Qualität ausgeben.

Drei Demos und ein Unwort symbolisieren den reaktionär-militaristischen Staatsumbau. Die übergroße Koalition inszeniert sich als „demokratisches Gewissen“. Wer es wagt, der Staatsräson zu widersprechen, kriegt auf die Fresse. Und wer für seine Interessen kämpft, wird in die extreme Ecke gestellt. Mit rassistischen Parolen versuchen die „Demokraten“ die Heimatfront geschlossen zu halten. Auf dem Weg zur erneuten „Kriegsfähigkeit“ stören der demokratische und der „Sozialklimbim“. Letzterer landete bei der Wahl zum Unwort des Jahres nur auf Platz 2.

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Über den Autor

Björn Blach, geboren 1976, ist als freier Mitarbeiter seit 2019 für die Rubrik Theorie und Geschichte zuständig. Er gehörte 1997 zu den Absolventen der ersten, zwei-wöchigen Grundlagenschulung der DKP nach der Konterrevolution. In der Bundesgeschäftsführung der SDAJ leitete er die Bildungsarbeit. 2015 wurde er zum Bezirksvorsitzenden der DKP in Baden-Württemberg gewählt.

Hauptberuflich arbeitet er als Sozialpädagoge in der stationären Jugendhilfe.

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"Drei Demos und ein Unwort", UZ vom 19. Januar 2024



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