Zur Regierungserklärung des Bundeskanzlers am 22. Juni

Verantwortungslos

Am 22. Juni 2022 gab Bundeskanzler Scholz zu den Gipfeltreffen von NATO, EU und G7-Staaten vor dem Deutschen Bundestag eine Regierungserklärung ab. Wer annahm, er würde den 81. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion mit einem ehrenden Gedenken an die Opfer verbinden, irrt. Keine Erwähnung der 27 Millionen toten Sowjetbürger, des verwüsteten Landes, der verbrannten Erde. Schon gar nicht, dass bei der Befreiung vom Faschismus die Sowjetunion die Hauptlast zu tragen hatte. Soweit Scholz diesen verbrecherischen Krieg überhaupt erwähnte, dann lediglich mit dem Hinweis auf die zerstörten deutschen Städte. Und auf einen „Marshallplan“ für den Wiederaufbau der kriegszerstörten Ukraine. Selbstverständlich wiederholte Scholz in seiner Rede die bekannten Angriffe gegen Russland und gegen „Putins Imperialismus“. Eine Partnerschaft mit Russland sei für ihn auf absehbare Zeit unvorstellbar.

Unglaublich, wie ein deutscher Politiker Jahrzehnte nach dem größten Menschheitsverbrechen derart verantwortungslos und instinktlos mit eigener Geschichte umgeht. Alles vergessen. Deutschland ist wieder eine Macht in Europa. Und strebt nach mehr. „Deutschland ist vorne mit dabei“, tönte Scholz und begründete die besondere Verantwortung mit Erfahrung, Größe und Stärke. Allerdings nicht mit der Konsequenz, wie eine wirkliche Friedensordnung zu erreichen sei, sondern wie das NATO-Bündnis gestärkt werden könne. Und Deutschlands Beitrag dazu. Dem widmete Scholz wesentliche Teile seiner Rede. Erwähnte vor allem dauerhafte militärische Präsenz in weiteren Staaten des Ostens und versprach mit markigen Worten: „Wir werden jeden Quadratmeter des Bündnisgebiets verteidigen“, als Zusicherung an die NATO und als Warnung an Russland.

Mit einem Satz offenbarte Scholz die ganze Verlogenheit seiner Politik und Begrenztheit politischer Vernunft: „Sicherheit ist das fundamentalste Versprechen, das ein Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern schuldet.“ Was für ein verräterischer Satz. Hatte Präsident Putin das nicht seit Jahren für die Russische Föderation angemahnt und gefordert? Waren es nicht die zunehmende Bedrohung seines Landes durch NATO-Osterweiterung, durch Bürgerkrieg mit 14.000 Toten und Aufrüstung der faschistischen Ukraine, die als unmittelbare Gefahr für die Sicherheit der Russischen Föderation den Anlass zur militärischen Entscheidung gaben? Sind die Sicherheitsinteressen Russlands weniger legitim und ist Putin seinen Völkern weniger verpflichtet? Über Jahre wurden Vorschläge und Forderungen vom imperialistischen Westen negiert, abgelehnt, gar nicht zur Kenntnis genommen. Und das nach den schlimmen historischen Erfahrungen Russlands.

Scholz‘ Rede und die Politik der Westmächte entlarven deren wahren Charakter. Statt tatsächlich für eine gerechte Friedensordnung zu wirken, streben Deutschland & Co. eine „werte- und regelbasierte Weltordnung“ nach westlichem Muster an. Also die Führungsrolle in der Welt ohne Rücksicht auf Interessen und Rechte anderer.

„Imperialistische Friedensordnung“ heißt heute militärische Aufrüstung und Kriegsverlängerung durch Waffenlieferungen sowie Sanktionen gegen Russland. Deutschland ist, wie andere NATO-Staaten, de facto Kriegspartei. Es ruiniert damit die eigene Wirtschaft und treibt Sozial- und Demokratieabbau rasant voran. Dass eine solche Politik eine wirkliche Friedensarchitektur für Jahre verhindert und gleichberechtigte Beziehungen zwischen den Staaten zerstört, ist einkalkuliert. Ebenso die Gefahr eines drohenden Atomkrieges.

Unser Autor ist Vorsitzender der Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung (GRH) und Mitglied der DKP.

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"Verantwortungslos", UZ vom 1. Juli 2022



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