Zur Antisemitismus-Resolution der Bundesregierung

Weg ins politische Elend

Der Bundestag beschloss am 17. Mai 2019, sich zur 2016 vorgelegten Antisemitismusdefinition der „International Holocaust Remembrance Alliance“ (IHRA) zu bekennen. Damit legte er eine Grundlage dafür, Menschen brandmarken und im Zweifel auch juristisch verfolgen zu können, die den wichtigen Unterschied zwischen zu bekämpfendem Antisemitismus und notwendiger, völkerrechtskonformer Kritik an der Politik der israelischen Regierung verstehen – also aus ihrem Verstand Vernunft ableiten.

„Staatsräson“ – hierzulande gern herangezogen – bedeutet „Staatsvernunft“. Unter dem Titel „Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ legte der Bundestag in der vergangenen Woche dennoch eine Sichtweise fest, die von Vernunft weit entfernt ist. Einerseits ist sie geeignet, im Inland die Debatte durch falsche Zuweisungen für eine rassistisch motivierte Muslimfeindlichkeit zu nutzen; andererseits befeuert sie den Konflikt im Nahen Osten, in dem Deutschland sich weiterhin als zweitgrößter Waffenlieferant an Israel am täglichen Morden in Gaza, dem Westjordanland und im Libanon bereichert. Nicht zuletzt solche Politik führt dazu, dass sich Jüdinnen und Juden vermutlich nirgendwo auf der Welt so unsicher fühlen müssen wie just in dem Land, das sie als ihren Schutzraum behaupten.

Die Widersprüche im von CDU, SPD, Grünen, AfD und FDP gegen die BSW-Stimmen – bei erwartbarer Enthaltung der Linksfraktion – gefassten Beschluss sind frappierend. Denn wo zunächst darauf verwiesen wird, „die Anstrengungen für eine verhandelte Zwei-Staaten-Lösung zu verstärken, im international geteilten Einvernehmen, dass dies die beste Chance für eine tragfähige Friedenslösung bietet, mit dem Ziel, die wiederkehrende Gewalt zu beenden und den Menschen auf der israelischen und palästinensischen Seite ein Leben in Sicherheit, Freiheit, Würde und mit gleichen Rechten zu ermöglichen“, wird gleich darauf ein undifferenzierter Freibrief ausgestellt, den schon jetzt Zehntausende mit ihrem Leben zu bezahlen hatten: „Israel hat das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich gegen völkerrechtswidrige Angriffe zu verteidigen, und damit die anerkannte Pflicht, seine Bürger unter Wahrung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen vor Terror zu schützen. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich auch weiterhin in internationalen Gremien und gegenüber internationalen Partnern für dieses Recht einzusetzen.“ Es ist aber genau die Auslegung dieses Rechts durch die rechtsextreme Regierung Israels, die von der großen Mehrheit der Völker nicht geteilt wird. Angesichts der Klagen gegen Deutschland vor internationalen Gerichten liest sich die Aufforderung an die Bundesregierung, ihre eigene Sichtweise anderen Staaten aufzudrängen, wie Pfeifen im Walde. Schon in Paris wird laut widersprochen.

Besser wäre gewesen, statt der IHRA-Definition jene der „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“ zu verwenden. Diese vorwiegend von jüdischen Antisemitismusforschern 2021 verfasste Konzeption zeigt konkret, was Antisemitismus von „nicht per se“ antisemitischen Haltungen unterscheidet. Auch die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin empfiehlt sie. „Wer Entscheidungen Benjamin Netanjahus mit seiner rechtsextremen Regierung, ihrer Besatzungspolitik und den immer gravierenderen Schritten gegen eine Zweistaatenlösung kritisiert, wird leider häufig und fälschlicherweise als Feind Israels und Gegner der besonderen Verantwortung Deutschlands als Konsequenz der Schoah ‚entlarvt‘ – was für ein Elend“, schreibt die Sozialdemokratin und folgert: „Der eingeschlagene Weg ist falsch.“

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"Weg ins politische Elend", UZ vom 15. November 2024



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