Der DGB-Aufruf zum Antikriegstag 2023 und eine bemerkenswerte Rede

Wenn der Krieg zurückkehrt

Kolumne

Die Erklärung des DGB zum Antikriegstag 2023 stand unter der Überschrift: „Die Welt braucht Frieden!“. Ihr erster Satz lautete: „Jeder Krieg ist ein Angriff auf die Menschheit und die Menschlichkeit.“

So haben das Sozialisten, Kommunisten und andere Linke immer gesehen. Die Schlussfolgerungen aus diesem Satz waren allerdings oft gegensätzlich. Nicht nur 1914, sondern auch 1928, als die SPD unter Bruch eines Wahlversprechens im Reichstag für die Finanzierung des „Panzerkreuzer A“ stimmte. Das Schiff wurde 1933 in Dienst gestellt. Die Remilitarisierung Westdeutschlands nach der Niederlage des deutschen Imperialismus und Faschismus begann faktisch, wie heute bekannt ist, schon im Jahr 1945. 1961 resümierte „Spiegel“-Herausgeber Rudolf Augstein in einem Sonderheft der Zeitschrift „Magnum“ unter der Überschrift „Waffen statt Politik“: „Die neue deutsche Armee wurde nicht gegründet, um den Bonner Staat zu schützen, sondern der neue deutsche Staat wurde gegründet, um eine Armee gegen die Sowjets ins Feld zu stellen.“ So sei „militärischer Druck die Quintessenz bundesrepublikanischer Staatsräson“ geworden. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt machten SPD und DGB ihren Frieden mit NATO und Bundeswehr.

20 05 Arnold - Wenn der Krieg zurückkehrt - Antikriegstag, DGB, Rüstungsexport, Ukraine-Krieg - Positionen
Arnold Schölzel

Gut 60 Jahre später steht die Bundesrepublik wieder an dem von Augstein in bei ihm seltener Klarheit erfassten Punkt: Politik am Rande eines Welt- und Atomkrieges ist erneut aggressiv behauptete Staatsräson. Das wird im diesjährigen DGB-Aufruf, in dem der russische Einmarsch in die Ukraine zunächst verurteilt wird, zum Antikriegstag benannt: „Wir warnen aber eindringlich vor dem Irrglauben, immer mehr Waffen für die Ukraine würden zu einem schnelleren Ende des Krieges führen. Und wir warnen vor der einseitigen Fixierung der Debatte auf Waffenlieferungen und ein Denken in den Kategorien ‚Sieg‘ oder ‚Niederlage‘. Wir fordern die Bundesregierung auf, ihr Handeln stärker auf friedliche Ansätze zur Konfliktlösung zu fokussieren: Haben Sie den Mut, mehr Diplomatie zu wagen!“

Es finden sich bei solchen Appellen stets Zeitgenossen, die das Verlangte für illusionär erklären und bei der Devise „Alles oder nichts“ bleiben. Darauf antwortet die Realität im allgemeinen mit Nichts – unter Atombomben ist das unannehmbar. Besser wäre, die DGB-Forderungen aufzugreifen und mit ihnen konsequent gegen den Kriegsfanatismus vor allem der Grünen und der FDP aufzutreten.

Dem DGB-Aufruf und dem anderer Organisationen zum 1. September folgten in diesem Jahr in Friedrichshafen am Bodensee laut dem Internetportal „seemoz.de“ rund 100 Demonstranten. Vor ihnen hielt der ehemalige Oberbürgermeister der Stadt, Josef Büchelmeier, früher SPD, seit 2021 Mitglied der Grünen, eine nachdenkliche, lange Rede darüber, wie der Krieg, der schon 1914 auch von der Rüstungsschmiede Friedrichshafen ausging, dorthin zurückkam: „In vielen Erinnerungen an die Kriege des 20. Jahrhunderts wird vor allem die Zerstörung der Stadt im grausamen Bombenhagel der Alliierten 1944 beklagt. Die Stadt wird als Opfer des Krieges gesehen, den sie selbst mit vielen Produkten ihrer Industrie erst möglich machte. Das Gedenken an die schlimme Zerstörung der Stadt trug dazu bei, dass jahrzehntelang die andere Seite der Medaille ausgeblendet wurde, nämlich die Ursprünge der Rüstungs- und Kriegsindustrie schon beim Grafen Zeppelin und später in den von ihm angestoßenen Firmen: Zeppelin, Maybach, Zahnradfabrik, Dornier, um nur die bekanntesten zu nennen. Diese Spannung müssen wir in Friedrichshafen sehen und aushalten. Manche Fragen müssen neu gestellt werden.“

Büchelmeier hat recht, nur: Diese Spannung durchzieht heute nicht nur eine Stadt, sondern längst wieder die gesamte Bundesrepublik, die weltweit auf Platz 3 der Rüstungsexporte vorgerückt ist. Der DGB-Aufruf bringt das zum Ausdruck. Es gilt, was draus zu machen.

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"Wenn der Krieg zurückkehrt", UZ vom 15. September 2023



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