Zur Geberkonferenz „für Syrien

Abstoßendes Schauspiel

Vertreter von 60 Staaten und Organisationen trafen sich virtuell, um wie schon in den vergangenen Jahren Hilfsgelder „für Syrien“ zu sammeln – tatsächlich geht es um Unterstützung für syrische Flüchtlinge in der Region. Auf dieser fünften „Geberkonferenz“ wurden 6,4 Milliarden Dollar zugesagt. Das sind zunächst nur zwei Drittel des Betrages, den Hilfsorganisationen für nötig halten.

Eintausend Milliarden Dollar – so hoch werden die Kosten der materiellen Zerstörung Syriens in diesem Krieg geschätzt. Infrastruktur, Bildung, Verkehrsverbindungen, Gesundheitswesen, die in Jahrzehnten aufgebaut wurden, wurden in zehn Jahren des Krieges in Schutt und Asche gelegt.

Angesichts der Zerstörung ist die zugesagte Hilfe ein Hohn. Und der Löwenanteil des Betrages ist keineswegs für Syrien gedacht – er soll die Nachbarländer Syriens stabilisieren, die Millionen Flüchtlinge aufgenommen haben. Das soll verhindern, dass die Menschen in den Lagern sich in ihrer Not aufmachen, aus der zerstörten Region in die Länder Europas zu fliehen. Der Menschenrechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michael Brand, meinte dazu, das Geld sei gut angelegt, weil es die Menschen dazu befähige, in der Nähe der Heimat zu bleiben.

Es ist ein abstoßendes Schauspiel, das Regierungen und Politiker der EU und der USA bieten, wenn sie von der Not der Menschen in Syrien reden. Denn die Geberkonferenzen sollen den Blick darauf verstellen, dass die Geberländer ihre Politik des Regime-Change keineswegs aufgegeben haben.
Die größte Hilfe für die Menschen, die vor dem Krieg in die Nachbarländer geflohen sind, wäre Hilfe beim Wiederaufbau Syriens. Doch die Geberländer betreiben nicht nur keine Wiederaufbauhilfe für das Land. Sie behindern mit ihren Sanktionen aktiv jeden Wiederaufbau. „Die Sanktionen verletzen die Menschenrechte der Syrerinnen und Syrer“, schreibt Alena Douhan, Sonderberichterstatterin der UN, zu den Auswirkungen der Sanktionen gegen Syrien.

EU und USA setzen Hunger als Waffe ein. Öl und Getreide aus dem Gebiet unter Kontrolle der kurdischen Selbstverwaltung aufzukaufen und ins Ausland zu transportieren, um sie der Regierung zu entziehen, ist dabei der vorerst letzte Schritt. Und die Tatsachen sind den Verantwortlichen durchaus vertraut. Markus Grübel, der Bundesbeauftragte für weltweite Religionsfreiheit, spricht von Sanktionen, die „die Menschen in Syrien deutlich härter treffen als die verbrecherische Führung“. Aber ein Ende der Sanktionen oder gar Wiederaufbauhilfe darf es erst geben, wenn die EU ihre politischen Forderungen erfüllt sieht.

Die Versuche, Hilfe an der Regierung Syriens vorbei zu liefern, macht gerade auch vor der Geberkonferenz nicht halt. Die syrische Regierung, der wichtigste Partner der UN zu Syrien, wurde nicht eingeladen. Deshalb lehnt die syrische Regierung die Geberkonferenz in einem Brief an die UN ab. Auch das russische Außenministerium kritisierte den Ausschluss der syrischen Regierung. Die Hilfsangebote der Geberkonferenzen verblassen vor der Politik des Regime-Change. Mit ihrem Beitrag von 1,7 Milliarden Dollar will die Bundesregierung der zunehmenden Kritik an den Sanktionen begegnen, die gerade auch von kirchlichen Organisationen erhoben wird.

Sanktionen sind eine kollektive Bestrafung, die die humanitäre Katastrophe erst schaffen, die die Geberkonferenzen angeblich lindern soll. Die Sanktionen müssen endlich beendet werden.

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"Abstoßendes Schauspiel", UZ vom 9. April 2021



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