Zum Tag gegen Gewalt an Frauen

Alltägliche Gewalt

An diesem Freitag werden sie wieder zahlreich werden in Radio und Fernsehen: Die Aufrufe, doch nun endlich mehr zu tun gegen Gewalt an Frauen. Das ist gut und richtig. Immer noch sind Frauen und Kinder häufig Gewalt und sexuellen Übergriffen ausgesetzt: beim Ausgehen, auf dem Weg nach Hause, in der eigenen Wohnung.

Das vom Europarat beauftrage Gremium GREVIO (Sachverständigengruppe für Maßnahmen gegen Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt) bescheinigt Deutschland zahlreiche erhebliche Lücken beim Schutz von Frauen vor Gewalt. So gibt es einen beachtlichen Mangel an Schutzplätzen in Frauenhäusern und großen Gruppen Gewaltbetroffener wird der Zugang zu Schutz durch die unzuverlässigen und uneinheitlichen Finanzierungswege des Hilfesystems versperrt.

Doch nicht nur deswegen sind die Aufrufe an diesem Freitag heuchlerisch, wenn sie von bundesdeutschen Politikerinnen und Politikern kommen. Zum Beispiel von der feministischsten aller Außenpolitikerinnen, die zum Abbau grundsätzlicher Frauenrechte in den USA schweigt und mit Worten und Waffen den Krieg in der Ukraine anheizt. Oder von denen, die Verantwortlich sind dafür, dass Frauen, die sich in der DDR haben scheiden lassen, heute dafür abgestraft werden – die gute Rente gestrichen, Versorgungsausgleich Fehlanzeige. Oder denen, die nicht dafür sorgen, dass Deutschland die Istanbul-Konvention nicht nur unterschrieben hat, sondern auch umsetzt. Die nicht für ausreichende Beratungs- und Therapiestellen sorgen. Von denen, die nur mit langen Streiks dazu gezwungen werden können, in den früher als „Frauenberufe“ bezeichneten Zweigen für anständige Löhne zu sorgen – solche, die es erlauben, eine gewalttätige Beziehung zu verlassen. Von denjenigen, die ein Gesundheitswesen so weit an die Wand gefahren haben, dass keine Zeit mehr bleibt für die adäquate Betreuung von Gewaltopfern. Von denjenigen, die einen Wohnungsmarkt organisieren, in dem das Wohnen unbezahlbar ist. Von denjenigen, die dafür Sorgen, dass Frauen auch im 21. Jahrhundert noch viel zu häufig ökonomisch von Männern abhängig sind.

Um es mit Bertolt Brecht zu sagen: Es gibt vieles an Gewalt. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.

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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Alltägliche Gewalt", UZ vom 25. November 2022



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