Umso länger die Pandemie um sich greift, umso mehr Menschen fürchten um ihre Existenz. Gleichzeitig werden die Reichsten ungeachtet der pandemiebedingten Einschränkungen immer reicher. UZ sprach darüber mit der Stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Linksfraktion, Susanne Ferschl. Seit 2017 sitzt sie für die Partei „Die Linke“ im Bundestag, davor war sie Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates der Nestlé Deutschland AG.
UZ: In einer Aktuellen Stunde im Bundestag haben Sie die wachsende Ungleichheit in der Gesellschaft angeprangert. Wie hat sich diese während der Pandemie entwickelt?
Susanne Ferschl: Ein Drittel der Bevölkerung hat durch Kurzarbeit und durch Arbeitslosigkeit Einkommensverluste und je niedriger das Einkommen, umso größer der Verlust. Die Ärmsten trifft es am stärksten. Hartz-IV-Bezieherinnen und -Bezieher haben keinen Pandemiezuschlag bekommen, obwohl unter anderem die Tafeln teilweise geschlossen haben.
Auf der anderen Seite sind Deutschlands Milliardäre in der Krise um nahezu 100 Milliarden Euro reicher geworden. Wir hatten schon davor eine Entwicklung zur immer größer werdenden Ungleichheit, aber sie nimmt in der Pandemie zu.
UZ: Welche Rolle nimmt die Pandemie dabei konkret ein?
Susanne Ferschl: Die Pandemie ist wie ein Katalysator einer bestehenden Situation, die wir seit Jahren haben, sie wirkt wie ein Brandbeschleuniger. Deutschland hatte schon vor der Krise den größten Niedriglohnsektor in Westeuropa. Das hängt mit einem viel zu geringen Mindestlohn zusammen und damit, dass die Tarifbindung sich im freien Fall befindet. Ursachen dafür sind die Agenda-Politik, die Hartz-IV-Gesetzgebung und der damit verbundene Anstieg bei den prekären Beschäftigungsverhältnissen.
Große Vermögen gab es auch schon zuvor. Es gibt keine Vermögensteuer und nur eine unzureichende Erbschaftsteuer. So wachsen diese immer weiter an – die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander.
Wenn man sich dann anschaut, wie sich der Staat finanziert, stellt man fest, dass sich der Bundeshaushalt zum großen Teil aus Einkommens- und Verbrauchssteuern finanziert und nicht mehr aus Steuern auf Dividenden und Gewinne. Somit tragen Vermögende kaum etwas dazu bei. Das ist eine Entwicklung, die wir schon seit Jahren haben und die Partei „Die Linke“ ebenso lang anprangert. Die Familie Quandt zahlt gerade mal 25 Prozent an Abgeltungssteuer auf ihre Dividendenausschüttungen. Die Einkommensteuer eines Arbeitnehmers liegt im Normalfall prozentual deutlich darüber.
UZ: Wie hilfreich ist da der „Lockdown light“ für die Beschäftigten?
Susanne Ferschl: Unstrittig ist, dass Maßnahmen nötig sind, um die Ausbreitung der Pandemie zu verhindern, rein aus Beschäftigtensicht sind sie natürlich nicht hilfreich. Die Maßnahmen sind bisweilen auch nicht mehr nachvollziehbar, denn die Runde aus Bundeskanzlerin Merkel und den Ministerpräsidenten der Länder macht es sich auch ein bisschen einfach. Sie erlegt den Bürgern Kontaktbeschränkungen auf und reguliert in den privaten Bereich hinein, aber macht ansonsten ihre Hausaufgaben nicht. In den öffentlichen Verkehrsmitteln müssen die Leute dicht an dicht stehen und in den Schulen eng auf eng sitzen.
Ich unterstelle der Bundesregierung nicht, dass die Maßnahmen getroffen wurden, um eine gesellschaftliche Schicht besonders stark zu treffen, aber es passiert genau dies, das kann man ganz deutlich am Beispiel der Gastronomie sehen. Dort sind die Einkommen besonders niedrig. Die Beschäftigten können, ausgehend von diesem niedrigen Ausgangsgehalt, einfach nicht über Monate vom Kurzarbeitergeld leben. Es ist richtig, auch die Wirtschaft zu stützen, aber – das ist der Vorwurf, den ich der Bundesregierung mache – sie haben ungleich gehandelt. Das Kurzarbeitergeld wurde nicht erhöht und bei Solo-Selbstständigen, bei Hartz-IV-Bezieherinnen und -Beziehern, bei Beschäftigten ist das Hilfspaket viel zu schmal ausgefallen.
UZ: Welche Maßnahmen müssten jetzt ergriffen werden, damit den Lohnabhängigen wirklich geholfen wird?
Susanne Ferschl: Eine Sofortmaßnahme wäre, das Kurzarbeitergeld auf mindestens 90 Prozent zu erhöhen. Wir als Partei „Die Linke“ sagen, dass darüber hinaus für Beschäftigte, die zu einem Mindestlohn arbeiten, das Kurzarbeitergeld auf 100 Prozent erhöht werden muss. Zudem müssen die Bezugszeiten der Arbeitslosenversicherung verlängert werden. Es ist total unsinnig, was die Bundesregierung macht. Sie hat zwar die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes beschlossen, jedoch läuft die Verlängerung des Arbeitslosengeldes Ende des Jahres aus. Viele Menschen finden logischerweise auf Grund der Pandemie jetzt keine Arbeit und geraten in das Hartz-IV-System, was nun mal Armut per Gesetz bedeutet.
Genauso wäre ein Pandemie-Zuschlag für Hartz-IV-Bezieherinnen und -Bezieher jetzt dringend nötig beziehungsweise müssten die Regelsätze erhöht werden. Langfristig gilt es, den Niedriglohnsektor auszutrocknen. Das klappt am besten mit einer Stärkung der Tarifbindung, zum Beispiel durch eine Erleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen.
Zusätzlich muss auch das Steuersystem verändert werden. Wir als Partei „Die Linke“ sagen, Einkommen unter 7.000 Euro müssen steuerlich ent- und alles darüber belastet werden. Wir brauchen eine Vermögensteuer und wir brauchen eine ordentliche Erbschaftsteuer. Zur Finanzierung der Krise schlagen wir darüber hinaus eine einmalige Vermögensabgabe für das eine Prozent der Superreichsten vor – die nach dem Grundgesetz möglich ist. Alle ab einem Netto-Privatvermögen von 2 Millionen Euro müssten eine Abgabe bezahlen. Das wären Dinge, die tatsächlich helfen würden, damit die Krise eben nicht ausschließlich von den Ärmsten und den abhängig Beschäftigten bezahlt würde