Im Kapitalismus schwanken die Strategien gegen die Seuche

Lernt von China!

So sehr wir Kommunisten den Kapitalismus hassen, seine Mangelwirtschaft bei sozialer und gesundheitlicher Vorsorge und seine Planlosigkeit anprangern, so wenig könnten wir uns freuen, wenn zusätzlich zur Bedrohung durch das Virus auch noch die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs zusammenbräche. Die Lohnabhängigen und die Ärmsten müssten es ausbaden. Jetzt schon fühlen sich Angehörige der oft mies bezahlten „systemrelevanten Berufe“ im Krieg gegen Covid-19 als „Kanonenfutter“. Es fehlen Beatmungsgeräte, Personal, Schutzkleidung. Firmen stellen die Produktion um. Die Bevölkerung geht dazu über, Schutzmasken selbst zu nähen.

Mit Schrecken blickt die Welt auf die USA, die Hauptmacht des Kapitalismus: auf die Totenzahlen, den Wirtschaftseinbruch, die hochschnellende Erwerbslosigkeit. Auf der Weltliste der getesteten Infizierten stehen die USA an der Spitze. Es folgen Spanien, Italien, Deutschland und Frankreich. Während in den kapitalistischen Hauptländern der Höhepunkt der Seuche bevorsteht, kommen Zeichen der Wiederbelebung aus China, das das Virus unter Kontrolle brachte und wieder zu produzieren begann. Das hilft der ganzen Welt. Volker Treier, Funktionär des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, hofft zu Recht: „Eine positive Entwicklung der chinesischen Wirtschaft kann die Tiefe der zu erwartenden Rezession in Deutschland abmildern.“

Zuvor muss aber auch bei uns die Seuche besiegt werden. Was das betrifft, wird es Zeit, dass die hiesigen Eliten von ihrem hohen Ross absteigen und von China lernen. China konnte der Seuche Herr werden, weil es (nach anfänglichen Fehlern) frühzeitig den Herd der Infektion, die Stadt Wuhan und die Provinz Hubei, isolierte, indem es sie ab 23. Januar gegen das übrige Land abriegelte. Von Chinas circa 82.000 Fällen konzentrierten sich 67.000 in der Provinz Hubei. Dort konnte durch strenge Kontaktbeschränkungen das Virus ausgetrocknet und kontrollierbar gemacht werden. Bis ein Impfstoff kommt, muss es durch intensives Testen, Isolieren und Rückverfolgen ständig unter Kontrolle gehalten werden. Der Lockdown wird vorsichtig gelockert.

In den Ländern des Kapitals kommentierte man Chinas Kampf gegen das Virus meist verächtlich. Man typisierte es als Vorgehen eines „autokratischen Regimes“, das für „liberale westliche Demokratien“ indiskutabel sei. Der Preis dieser Arroganz ist, dass auf der Weltliste der erfassten Infizierten heute die großen reichen kapitalistischen Länder China bei Weitem überholt haben, vor allem bei den Totenzahlen. Dabei ist die Dunkelziffer überall groß. Anfangs glaubten die Eliten einiger kapitalistischer Länder, indem sie dem Virus relativ freien Lauf ließen, könnten sie mittels „Durchseuchung“ eine sogenannte „Herdenimmunität“ erzeugen. Erst die Bilder aus Norditalien und Proteste der eigenen Bevölkerungen erzwangen einen Strategiewechsel.

„Durchseuchung“ von 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung schließt ein, dass die Zahlen der Schwerstkranken so hoch werden, dass es in den meisten Ländern zur Überlastung der vorhandenen medizinischen Ressourcen und infolgedessen zu sehr vielen vermeidbaren Toten kommt. Länder wie die BRD gingen daher zur Strategie der „Abflachung der Infektionskurve“ mittels verordneter Kontaktverringerung über und bauen parallel medizinische Kapazitäten durch Feldlazarette und ähnliches aus. Da die „Wirtschaft“, je länger der Lockdown dauert, umso mehr an Konkurrenzfähigkeit einbüßt, ist mit einem ständigen Schwanken kapitalistischer Regierungen zwischen „Abflachungs-“ und „Durchseuchungsstrategie“ zu rechnen. Dies, obwohl das Virus mutiert und es laut dem chinesischen Lungenexperten Zhong Nanshan bisher überhaupt keine Evidenz gibt, ob und wie lange eine Person nach einer ersten Infektion gegen Krankheiten im Zusammenhang mit Coronaviren immun wird.

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Über die Autorin

Beate Landefeld (Jahrgang 1944) ist Hotelfachfrau und Autorin.

Landefeld studierte ab 1968 Literaturwissenschaft und Soziologie an der Universität Hamburg, war Vorsitzende des Allgemeinen Studentenausschusses, Mitbegründerin des MSB Spartakus. 1971-1990 war sie im Parteivorstand der DKP, 1977-1979 Bundesvorsitzende des MSB Spartakus, später auf Bezirks- und Bundesebene Funktionärin der DKP.

Landefeld ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter. 2017 veröffentlichte sie bei PapyRossa in der Reihe Basiswissen das Buch „Revolution“.

Für die UZ schreibt Landefeld eine monatliche Kolumne.

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"Lernt von China!", UZ vom 10. April 2020



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