Die Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde hat sich aufgelöst

Unrecht der Kohlschen Anschlusspolitik angeklagt

Am 8. Dezember hat die in Berlin ansässige Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde e. V. (GBM) mit einer letzten Zusammenkunft nach 31 Jahren ihre Tätigkeit beendet. Sie war eine der ersten Organisationen, in denen sich in ganz Ostdeutschland DDR-Bürger gegen die Verbrechen des Anschlussprozesses wehrten: Berufsverbote, Abwicklung, Diskriminierung und antikommunistische Anwürfe. Die Vereine, Initiativen und Einzelpersonen, die dagegen mit juristischen und publizistischen Mitteln antraten, sind heute im Ostdeutschen Kuratorium von Verbänden e. V. (OKV) versammelt – nun sind es noch 27.

Initiatoren der GBM waren der Philosoph und Friedensforscher Wolfgang Richter (1940–2018) und der Historiker Siegfried Prokop. Sie lehrten Ende 1990 noch an der Humboldt-Universität, als sie die Idee entwickelten, die Opfer der Kohlschen Anschlusspolitik mit einem Aufruf aufzufordern, ihr Schicksal öffentlich zu machen. Die “Zeit des bloßen Hinnehmens von Demütigungen”, so Prokop am 8. Dezember in seiner Rede auf der Abschiedsveranstaltung (veröffentlich in “junge Welt” vom 15. Dezember), sollte beendet werden. Der Appell trug den Titel “Für Recht und Würde. Seine zentrale Forderung war ein Deutschland, “das jedes Menschen Recht gleich achtet”. Statt dessen geschehe aber seit der Ostausdehnung der Bundesrepublik “massenhaftes Unrecht”. Vorgeschlagen wurde, Dokumente dazu in einem “Weißbuch” zu veröffentlichen.

Die Initiatoren des Appells wurden ab März 1991 innerhalb des Arbeitslosenverbandes Deutschlands tätig und riefen insbesondere die bis dahin durch Abwicklung oder die sogenannte Warteschleife betroffenen 600.000 Ostdeutschen auf, sich juristisch gegen die gesetzlose Entlassung (die vor allem im wissenschaftlichen oder journalistischen Bereich oft mit einem nicht ausgesprochenen lebenslangen Berufsverbot verbunden war) zu wehren.

Der Appell hatte bis dahin eine relativ geringe Resonanz. Das änderte sich, als die Initiatoren um die Unterstützung Prominenter warben. Unter ihnen waren unter anderem Die Malerin Heidrun Hegewald, die Schauspielerin Käthe Reichel (1926–2012), der französische Marxist Gilbert Badia (1916–2004), der Politologe Fritz Vilmar (1929–2015) und der Theologe Kuno Füssel. In kürzester Zeit wurde der Aufruf in mehr als einer Million Exemplaren gedruckt und verteilt. In ganz Ostdeutschland bildeten sich Gruppen, die auf Gründung einer Organisation drängten – Mitte 1991 war es soweit.

Die GBM entfaltete mit zeitweise 4.500 Mitgliedern eine breit gefächerte Arbeit : 1992 erschien das erste von sieben “Weißbüchern”: “Unfrieden in Deutschland. Diskriminierung in den neuen Bundesländern”. Es enthielt Dokumente zur Massenarbeitslosigkeit und den Konsequenzen – Altersarmut, Mieterverdrängung, Selbstmorde. Das zweite “Weißbuch” enthält die bislang wohl einzige Überblicksdokumentation zur Abwicklung von “Wissenschaft und Kultur im Beitrittsgebiet”. Die GBM trug wesentlich die “Alternative Enquetekommission” unter der Leitung von Wolfgang Harich (1923–1995) als Gegenstück zur Bundestagskommission, gab ab 1994 das Kulturmagazin “Icarus” heraus, verlieh jährlich einen Menschenrechtspreis und zeigte in den Räumen ihrer langjährigen Geschäftsstelle in der Berliner Weitlingstraße die ersten Ausstellungen nach 1990 mit großer DDR-Kunst.

Die Mitgliederreihen haben sich gelichtet. Der GBM-Arbeitskreis Kultur- und Bildungsreisen macht zwar weiter, für eine umfassende Vereinstätigkeit fehlt aber die Kraft. Der Beschluss des GBM-Vorstandes zur Auflösung fiel daher schon vor Monaten.



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