Kommunisten legen Verfassungsbeschwerde gegen Neufassung des Paragrafen 130 ein – für die Meinungsfreiheit

Weg mit dem Maulkorb für Kriegsgegner

Am 28. Juli haben Wera Richter, Patrik Köbele und Ralf Hohmann in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen die seit 9. Dezember 2022 geltende Neufassung des Paragrafen 130 Absatz 5 Strafgesetzbuch (StGB) eingelegt. Das Zustandekommen des Gesetzes verstieß im Wege des „Omnibusverfahrens“ gegen die Teilhabe- und Kontrollrechte der Bundestagsabgeordneten. Als bewusst schwammig formulierte Strafnorm greift es zudem unmittelbar in den geschützten Bereich der Meinungsfreiheit ein. Die Beschwerde von Köbele, Richter und Hohmann rügt den Verstoß gegen Artikel 103 Absatz 2 Grundgesetz (GG) – Strafgesetze müssen inhaltlich ausreichend bestimmt sein – sowie die Verletzung des Kernbereichs der Meinungsfreiheit (Artikel 5 Absatz 1 GG). Die drei Beschwerdeführer haben beantragt, das Gesetz für nichtig, zumindest aber für verfassungswidrig zu erklären. Die Nichtigkeit eines Gesetzes hat seine unmittelbare Aufhebung zur Folge. Ist es „nur“ unvereinbar mit dem Grundgesetz, gilt es einstweilen weiter, bis der Gesetzgeber die Norm innerhalb einer vom Verfassungsgericht gesetzten Frist neu fasst.

Gesetz gegen Kriegsgegner

Was steckt hinter Paragraf 130 Absatz 5 StGB? Das Gesetz eröffnet den Strafverfolgungsbehörden die Befugnis, öffentliche Äußerungen, aber auch wissenschaftliche Beiträge zu Kriegsverbrechen – egal wann, wo und durch wen sie auf dem Globus begangen worden sind oder noch bevorstehen – strafrechtlich zu ahnden, sofern die Äußerung von der gerade herrschenden politischen Großwetterlage abweicht. Wer Zweifel an einer von der Regierung vorgegebenen historischen Einordnung äußert, „verharmlost“ tatbestandlich, wer sie gar in Abrede stellt, „leugnet“ strafwürdig.

Ziel der Verfassungsbeschwerde ist es, den Beweis über die Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzes zu führen. Dazu wird zunächst das Gesetzgebungsverfahren beleuchtet, das für sich genommen schon belegt, auf welche Weise mögliche kritische Stimmen im Parlament ausgetrickst werden sollten – von der hinters Licht geführten Öffentlichkeit ganz zu schweigen. Nachfolgend weisen die Beschwerdeführer auf, dass Paragraf 130 Absatz 5 StGB weder von seinem Wortlaut her noch im Hinblick auf seine überaus schillernde Semantik den Anforderungen gesetzlicher Bestimmtheit genügt.

Bewusste Irreführung

Artikel 103 Absatz 2 GG fordert vom Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass für den Bürger – im Juristendeutsch: den Norm-Adressaten – Anwendungsbereich und Tragweite des Straftatbestandes erkennbar sind. Bei Paragraf 130 Absatz 5 StGB tun sich an dieser Stelle Abgründe auf. So verweist das Gesetz auf die Handlungen, die in den Paragrafen „6 bis 12 des Völkerstrafgesetzbuches“ (VStGB) näher beschrieben sind. Gemeint sind damit Kriege, bewaffnete Konflikte oder Kriegsverbrechen, deren Billigung, gröbliche Verharmlosung oder Leugnung unter Strafe stehen. Vom „Norm-Adressaten“ darf man durchaus verlangen, dass er dem Verweis folgt und im VStGB nachliest. Beim Bestimmtheitsgrundsatz geht es konkret um die in den Tatbestand eingebauten Verständnisfallen. Nach dem Verweis auf das VStGB heißt es im Wortlaut ergänzend: „Handlungen … der bezeichneten Art“. In den Paragrafen 6 bis 12 VStGB sind – ohne Untervarianten – 53 verschiedene Handlungen aufgezählt. Der „Norm-Adressat“ muss sich nun noch Gedanken machen, welche weiteren Alternativen („der Art nach“) auch noch zu den 53 Varianten passen könnten. Um die Absurdität dieses Tatbestandes zu erfassen, muss die Gedankenakrobatik wohl nicht weiter getrieben werden.

Präventiver Maulkorb

Schließlich rügt die Verfassungsbeschwerde die Verletzung des Kernbereichs der Meinungsfreiheit. Es liegt auf der Hand, dass mit der entgrenzten Erfassungsweite des Gesetzes nahezu jede Äußerung zu einem beliebigen kriegerischen Konflikt stets unter dem Damoklesschwert strafrechtlicher Verfolgung steht. Im Zweifel sollte man wohl besser den Mund halten. Als präventiver Maulkorb erfüllt das Gesetz seinen ihm von der Regierung beigelegten Zweck aufs Beste.

Kommunisten machen sich keine Illusionen, weder über die Natur des Staatsapparats noch über seine Justiz. Warum also der Weg über das Bundesverfassungsgericht? Das Grundgesetz ist seit 1949 insgesamt 54 Mal geändert worden, einzig die Artikel 1 GG und 20 GG blieben verschont. Durchgängig handelt es sich um Änderungen, die den ursprünglichen Grundbestand an politischen und sozialen Rechten einschränken oder den Frieden gefährden. Man denke nur an die Wiederbewaffnung, die Beschneidung des Asylrechts, die Notstandsgesetze oder den „Großen Lauschangriff“. Das Grundgesetz ist Spiegelbild der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung, einschließlich all ihrer Rückschritte, ein Widerschein der Klassenverhältnisse. Am Zustand der Verfassung lässt sich, wie der marxistische Politologe und Jurist Wolfgang Abendroth (1906 bis 1985) formulierte, der „jeweilige Klassen-Waffenstillstand“ ablesen.

Grundgesetz verteidigen – ohne Illusionen

Eine nutzlose leere Hülle ist die Verfassung für die fortschrittlichen Kräfte und die Kommunisten in diesem Land gleichwohl nicht. Die KPD-Vertreter im Parlamentarischen Rat, Max Reimann und Heinz Renner, verweigerten im Mai 1949 ihre Unterschrift unter das Grundgesetz. Max Reimann ahnte wohl schon, wie es um das Schicksal der demokratischen Grundrechte in Zukunft bestellt sein würde: „Sie, meine Damen und Herren, haben diesem Grundgesetz, mit dem die Spaltung Deutschlands festgelegt ist, zugestimmt. Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben.“

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Die Kommunisten Heinz Renner (links) und Max Reimann sahen voraus, was mit dem Grundgesetz geschehen würde – bei seiner Unterzeichnung am 23. Mai 1949 blieben sie sitzen. (Foto: picture alliance / dpa | UP)

Die KPD hat diese Haltung auch während ihrer Illegalität nicht aufgegeben, die DKP knüpfte seit dem Tag ihrer Gründung daran an. Im Parteiprogramm ist der konkrete Handlungsauftrag formuliert: „Verteidigung der im Grundgesetz verankerten Grundrechte (und) die Verteidigung sozialer und demokratischer Errungenschaften“. Ein Handlungsauftrag, der die politischen Mittel adressiert, aber auch juristische Schritte zur Rechtsdurchsetzung nicht ausklammert. Erinnert sei an den direkten Angriff auf die DKP durch den Bundeswahlleiter im Juli 2021 und seine Absicht, die Partei von der Teilnahme an der Bundestagswahl auszuschließen. Breite Proteste im In- und Ausland trugen dazu bei, das drohende kalte Parteiverbot zu kippen. Das Finish aber erledigte die erfolgreiche Beschwerde zum 2. Senat in Karlsruhe am 22. Juli 2021.

Auch wenn die Jahresstatistik des BVerfG über das Schicksal eingelegter Verfassungsbeschwerden eine bedenkliche Erfolgsquote von 1,29 Prozent ausweist, darf die trickreiche Dreistigkeit, mit der die Regierungskoalition das angefochtene Gesetz zur Abstimmung gebracht und einem weiteren Instrument aus dem antidemokratischen Werkzeugkasten zum Einsatz verholfen hat, nicht unbeantwortet bleiben. Politisch nicht und auch, soweit man beides überhaupt trennen kann, juristisch nicht.

Die Verfassungsbeschwerde von Wera Richter, Patrik Köbele und Ralf Hohmann gibt es hier.

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"Weg mit dem Maulkorb für Kriegsgegner", UZ vom 11. August 2023



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